UPdate: 12. November 2008 – Brustgeschirr oder Halsband? Ein Beitrag von Dr. Harald Krisa.
Brustgeschirr oder Halsband?1
Die meisten Hunde haben Probleme im Halsbereich. 91 % der Hunde, die Schäden an der Halswirbelsäule aufweisen, waren dem Leinenruck und/oder dem starken und langen Ziehen an der Leine ausgesetzt (Hallgren 2003). Viele bekommen dadurch Kopfschmerzen, Schluckstörungen, Probleme am Kiefer und an der Zunge. Es handelt sich dabei um ganzheitliche Probleme, denn das Selbstvertrauen ist sehr eng an diese Körperstellen gekoppelt. Dadurch kommt es in der Folge häufig zu Verhaltensproblemen besonders zu tendenziell aggressivem Verhalten…
Der Hals – eine empfindliche Stelle
Vielleicht ist Ihnen folgendes schon einmal passiert: Sie fahren mit Ihrem Auto im Ortsgebiet mit geringem Tempo. Plötzlich springt ein kleines Kind ohne Vorwarnung direkt vor Ihr Auto auf die Straße. Sie machen eine Notbremsung und bleiben Gott sei Dank noch rechtzeitig stehen. Zum Glück ist dem Kind nichts passiert! Trotz des geringen Tempos spüren Sie die Wucht der Vollbremsung auf Ihrem Oberkörper, denn Sie waren natürlich angegurtet. Ohne Gurt wären Sie zweifellos mit dem Kopf direkt in die Windschutzscheibe geknallt.
Stellen Sie sich jetzt vor, der Sicherheitsgurt wäre nicht um Ihren Oberkörper sondern ausschließlich um Ihren Hals verlaufen. Trotz der geringen Geschwindigkeit hätten Sie bei dem Zwischenfall mit Sicherheit einen schweren Schaden an der Halswirbelsäule erlitten….
Der Hals ist eine sehr empfindliche Stelle, sowohl bei uns Menschen als auch bei Hunden. Die Verwendung von Würgeketten und anderen Würgehalsbändern führt zu Schäden an der Halswirbelsäule, es kann zur Quetschung des Kehlkopfes und zu Verletzungen der Muskulatur kommen.
Die wichtigste Vorsorgemaßnahme, um Schäden im Halsbereich zu verhindern, ist, dem Hund das Gehen an lockerer Leine beizubringen. Dazu braucht man keine spezielle Ausrüstung und schon gar keine Strafmaßnahmen. Wie das funktioniert, lernen Sie bei uns im Kurs oder aus dem neuen Buch von Turid Rugaas: „Hilfe, mein Hund zieht!“
Selbst wenn man ein normales Halsband verwendet und daran niemals ruckt, sind Schäden im Halsbereich und somit in der Persönlichkeit des Hundes möglich. Ein plötzlicher Reiz, der das Jagdverhalten auslöst (z.B. eine Katze, ein Hase oder ein Jogger) reicht aus. Der Hund rennt ans Ende der Leine und löst somit selbst einen kräftigen Ruck aus. Oder der Hund riecht irgend etwas am Wegrand und zieht in diese Richtung. Sagen Sie nicht, so etwas oder ähnliche Situationen gibt es bei Ihrem Hund nicht! Viele Dinge passieren täglich ohne dass man sich Gedanken darüber macht.
Deshalb empfehlen wir für alle Hunde Brustgeschirre. Für junge, für alte, für kleine, für große und natürlich für alle Rassen (ja, auch für Dackel!). Das Argument, dass Hunde an einem Brustgeschirr ihre Kraft besser einsetzen können und daher mehr ziehen werden, kann nur für Hundebesitzer Gültigkeit haben, die das Gehen an der Leine als Kräftemessen mit dem Hund betrachten und nicht als gemeinsames Miteinander. Bringen Sie Ihrem Hund das Gehen an lockerer Leine bei! Wenn er trotzdem gelegentlich zieht, bleiben Sie stehen. Mit einem Brustgeschirr führen Situationen wie vom Hund ausgelöstes, gelegentliches Rucken oder Ziehen, die bei jedem Hund vorkommen, bestimmt zu keinen gesundheitlichen Problemen. Dauerndes Ziehen kann hingegen selbst an einem Brustgeschirr schädlich sein. Die Körperhaltung kommt aus dem Gleichgewicht.
Wir haben schon hartnäckige (im wahrsten Sinn des Wortes!) Leinenzieher auf das Brustgeschirr umgestellt – und siehe da: Manche Hunde haben aufgehört zu ziehen, weil das ständige, unangenehme Gefühl am Hals plötzlich nicht mehr da war. Der Nacken, der als Schutz vor Verletzungen gebildet wurde und meistens mit Anspannung, Reizbarkeit und aggressivem Verhalten gekoppelt ist, kann wieder weicher werden und der Hund insgesamt sanfter. Diese Hunde haben durch die Umstellung auf ein Brustgeschirr ein neues Körpergefühl bekommen – und damit eine neue Lebensqualität erlangt.
Was sind die Kriterien für ein gutes Brustgeschirr und was ist sonst noch zu beachten?
* Das Wichtigste ist zweifellos, dass der Hund eine positive Assoziation damit herstellt. Das erreicht man am besten, indem man dem Hund keinen Druck beim Überziehen des Brustgeschirres macht, sondern ihm Schritt für Schritt mit vielen Leckerlis, mit Ruhe und Geduld klar macht, dass dieses neue, ungewohnte Ding mit positiven Erlebnissen verbunden ist. Beugen Sie sich beim Anlegen des Geschirrs nicht über den Hund, sondern gehen Sie dabei in die Hocke.
* Das Loch, durch das der Hund mit dem Kopf durch muss, sollte nicht zu eng sein. Noch besser ist es, wenn der Hund gar nicht durchschlüpfen muss sondern ein zusätzlicher Verschluss für den Kopfteil vorhanden ist.
* Auch das Pfoten-Heben beim Einsteigen in das Geschirr ist für viele Hunde unangenehm. Kaufen Sie daher am besten ein Modell, das am Brustteil an beiden Seiten Verschlüsse hat.
* Der Riemen unter den Achseln sollte nicht zu eng anliegen oder gar einschneiden.
* Polsterungen haben sich besonders an empfindlichen Stellen bewährt. Der Rand des Brustgeschirres sollte nicht reiben oder einschneiden. Das Material sollte leicht und weich sein.
* Die Leine sollte immer am hinteren Ring eingehängt werden und nie in Halsnähe – sonst könnte man ja gleich ein Halsband verwenden!
Falls Sie bisher nur von Halsbändern überzeugt waren – kaufen Sie ein Brustgeschirr und tun Sie Ihrem Hund und Ihrer Beziehung zueinander etwas Gutes!
1.Ein Beitrag von Dr. Harald Krisa, Hainburg / Wien / HUNDE-FORUM
Zitierte Literatur:
A. Hallgren (2003): Rückenprobleme beim Hund, animal learn Verlag
T. Rugaas (2004): Hilfe, mein Hund zieht!, animal learn Verlag