„Alles, was uns der Züchter verkauft, ist ein absolut unfertiger Entwurf,
so eine Art Skizze, es liegt nun an uns, daraus einen braven Hund zu machen.“
Eberhard Trumler
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Die Entwicklung eines Rhodesian Ridgeback Welpen
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Vegetative Phase in der 1. und 2. Woche
Mit ihrem Austritt aus dem schützenden Mutterleib beginnt für die Welpen das Leben in dieser Welt mit einem dünnen Schrei. Dabei wird das Mäulchen weit aufgerissen, die Zunge hervorgestreckt, und der erste, jenen Schrei erzeugende Luftstrom, der aus ihrer Brust herauskommt, fördert einige Schleimrückstände aus den Atemwegen. Sobald ihn die mütterliche Zunge freigibt, kriecht der Welpe mit aller Entschlossenheit auf seinem Bauch zum Bauch der Mutter, und nach kürzerem oder längerem Suchen findet er auch schon die Milchquellen. Sein darauf folgendes Schmatzen ist unüberhörbar.
Ein Welpe wird mit verschlossenen Augenlidern und Ohren geboren. Auch sein Geruchssinn ist noch nicht wesentlich ausgebildet ist. Wie also findet der Welpe zu den Zitzen? Welche Kräfte treiben ihn überhaupt an, das zu tun? Wieso weiß er, was er tun muss?
Man spricht gemeinhin von Instinkten und denkt, damit wäre alles erklärt. Aber so einfach ist das nicht. Die Verhaltensforschung hat längst das etwas vieldeutige Wort Instinkt durch den Begriff der Erbkoordinationen ersetzt oder die oft komplexen und schwer durchschaubaren Instinkthandlungen in solche aufgelöst. Eine Erbkoordination ist eine erblich festgelegte Bewegungsweise, die von bestimmten Umweltsituationen ausgelöst wird und dann zwanghaft abläuft. Solche Auslöser nennt man »Schlüsselreize« , weil sie gleichsam ein Schloß aufsperren, wodurch die Erbkoordination freigesetzt wird. Das wieder ist dadurch möglich, dass in bestimmten Nervenzentren beständig Impulse erzeugt werden, die zur Entladung, also zum Ablauf der betreffenden Erbkoordination drängen. Sie werden aber von anderen Nervenzentren blockiert. Diese Blockade wird sofort aufgehoben, wenn über die Sinnesorgane ein passender Schlüsselreiz gemeldet wird.
Wichtig ist, dass durch die beständige Erregungsproduktion die aufgestauten Impulse gleichsam immer mehr unter Hochspannung stehen, je länger kein Schlüsselreiz auftrat, der eine Entladung herbeigeführt hätte. Das bringt dann mit sich, dass es zu einer Erniedrigung der Reizschwelle kommt, das Tier spricht also auf den geeigneten Schlüsselreiz auch dann an, wenn er nur von geringer Intensität ist und von einem normal abreagierten Tier gar nicht beantwortet werden würde. Das kann sogar so weit gehen, dass es irgendwann einmal auch ohne Schlüsselreiz zur Entladung der aufgestauten Energie kommt, die Erbkoordination bzw. Bewegungsweise läuft ab, ohne irgendetwas zu beantworten – was man als »Leerlaufreaktion« bezeichnet.
Ein praktisches Beispiel: Die haarlose, zapfenförmige Zitze ist für den Welpen so ein Schlüsselreiz. Wird sie ihm über Sinnesorgane – in diesem Fall durch den Tastsinn – signalisiert, löst das eine Erbkoordination aus, nämlich das Umfassen der Zitze mit Maul. Aber schon wirkt dieser neue Berührungsreiz als Schlüsselreiz, der eine Blockade aufhebt, das Saugen folgt.
Setzt man einen solchen Welpen nun von der Mutter ab und gibt ihm keine Möglichkeit, an etwas zu saugen, kann man nach längerer Zeit das Auftreten von Leerlaufreaktionen beobachten: Der Welpe öffnet sein Maul, als wollte er eine Zitze erfassen, und er saugt unter den typischen Mundbewegungen ins Leere. Der Erregungsstau ist zu groß geworden, die normale Blockade wird durchbrochen. In so einem Zustand ist der Welpe auch bereit, an Dingen zu saugen, an denen er vorher nicht gesaugt hätte. Nimmt man einen Welpen von der mütterlichen Zitze ab und hält man ihm den Finger hin, so interessiert ihn dieser nicht. Holt man aber einen Welpen gegen Ende einer Schlafpause aus dem Lager, so ist er bereit, es mit unserem Finger zu versuchen.
Der neugeborene Welpe bringt nichts anderes mit auf die Welt, als einige wenige angeborener Bewegungsweisen und die Lautäußerungen. Er gibt sofort Laut, wenn ihm irgendetwas abgeht oder unangenehm ist. Das ist sehr wichtig, denn ein solcher Laut ist wieder ein Schlüsselreiz für die Mutter – sie wendet sich sofort dem Welpen zu. Das Geschrei des kleinen Saugwelpen ist eigentlich eine Dauerleistung, die nur durch bestimmte Dinge unterbunden wird. Er wird gleich wieder still, wenn er Wärme und Anlehnung findet, sei es am mütterlichen Körper, oder inmitten seiner Geschwister. Er schreit, wenn er von seiner Zitze verdrängt wird, und beruhigt sich sofort, wenn er sie wieder hat oder eine andere findet. Dabei hilft dann oft die Mutter mit ihrer Nase , indem sie den Welpen zurecht schiebt. Besonders wichtig wird dieses Unwillensgeschrei, wenn der Welpe aus dem Lager gerät. Sofort ist die Mutter da, fasst ihn vorsichtig mit den Zähnen und legt ihn wieder ins Lager.
Welpen, die noch blind sind kriechen niemals geradlinig, sondern immer im Kreis. Dieses Kreiskriechen ist auch eine angeborene Verhaltensweise. Sie dient dazu, den Welpen dicht am Lager zu halten.
Bei der Suche nach Wärme und Anlehnung ist dem Welpen die eigenartige Kopfbewegung behilflich: Der Kopf pendelt förmlich von einer Seite zur anderen.
Erstaunlich ist auch, wie gut ein Welpe gleich nach der Geburt den verhältnismäßig großen Kopf schon hochheben kann. Auch das ist wichtig. Gelangt er an den Bauch der Mutter, muss er erst die Zitzen suchen. Dazu dient ihm das „Fellbohren“, ein Hochschieben der Nase unter dem Fell. So wühlt er sich durch das Bauchfell, bis er das Gesäuge findet.
Beim Saugen selbst sind noch zwei Bewegungsweisen zu finden: Das Abstemmen mit den Hinterbeinen am Boden, um einmal an der Zitze zu bleiben, zum anderen um mit dem Kopf kräftig gegen die Milchdrüsen zu stoßen, was die Milchproduktion anregt. Dieser Aufgabe dient natürlich auch der Milchtritt.
Damit wurde alles beschrieben, was der Welpe von Geburt an kann. Das ist nicht viel, aber es genügt für die ersten zwei Wochen vollauf. In dieser Zeit ist der ganze Lebensabschnitt des Welpen auf Gewichtszunahme abgestimmt- er verdreifacht jetzt sein Geburtsgewicht. Daher besteht sein ganzer Daseinsinhalt aus Trinken und Schlafen.
Wer Hunde züchtet, sollte diese ersten Reaktionen des neugeborenen Welpen sehr genau beobachten und verfolgen. Wenn ein Welpe sich schwächer, inaktiver und langsamer zeigt als seine Geschwister, dann heißt das, dass sein Nervensystem und damit sein allgemeiner Zustand nicht in Ordnung ist. Sein „Biotonus“ ist schwach. Sollte er dennoch hochkommen und heranwachsen, wird es nie ein gesunder Hund. Denn man darf nicht vergessen, dass aus dem, was der Welpe in der Stunde seiner Geburt mitbringt, einmal alles das werden soll, was ein erwachsener Hund haben muss, um ein guter Hund zu sein. Wenn dieses „Ausgangsmaterial“ bereits nicht viel taugt, was ist dann für die Zukunft zu erwarten?
Alle wenigen Verhaltensweisen, die wir am neugeborenen Welpen beobachten können, ihren Sitz im verlängerten Rückenmark und im Zwischenhirn haben. Das sind die ältesten Gehirnanteile, gleichsam die Basis für das übrige Gehirn, das jenen Anteilen aufgelauert ist und das zur Stunde der Geburt kaum noch arbeitet. Wenn also diese Basis bereits geschwächt ist, kann man schwerlich erwarten, dass die später in Funktion tretenden höheren Gehirnleistungen viel besser werden.
Liegen die kleinen Welpen eng aneinandergeschmiegt und machen ihre Schlafpause, könnte man annehmen das hätte etwas mit Sozialkontakt zu tun. Nimmt man einen Welpen weg dann schreit er kläglich und will wieder zu seinen Geschwistern. Er ist aber auch zufrieden, wenn wir ihn mit einer angewärmten Decke oder einem Gummiball zusammenbringen. Es geht ihm nicht um seine Geschwister, sondern um seine eigene Sicherheit. Unter natürlichen Bedingungen ist dort, wo es warm und weich ist, das Lager, und da, wo man allein ist Gefahr. Das ist wohl die Funktion des Kontaktliegens der Welpen.
Aber bereits hier gibt es ein Lernvermögen. Lässt man einer Hündin nur einen einzigen Welpen, dann schreit er nicht, wenn die Hündin das Lager verlässt und er alleine zurückbleibt. Er findet sich damit ab. Es ist kaum zu glauben, wenn man erlebt, was ein Welpe aufführt, legt man ihn 30 Zentimeter neben seine Geschwister. Das Einzelkind aber ist ganz still und brav und tut so, als gäbe es diesen Drang zum Kontaktliegen überhaupt nicht.
Sowenig wie es einen Sozialbezug gibt, sowenig gibt es irgendein Interesse für die Umwelt, sieht man vom Gesäuge der Mutter ab, das den Mittelpunkt des frühen Welpenlebens darstellt. Der Ausdruck „Vegetativ“ für diese Phase könnte nicht besser gewählt sein. Es ist wirklich nichts anderes als eine Fortsetzung des Unbewussten Lebens im Mutterleib, ein Zeitraum, der nur dem Wachstum und der Gewichtszunahme dient.
In diesem Zusammenhang sei noch hinzugefügt, dass die festen und flüssigen Ausscheidungen der kleinen Fresssäcke auch eine Angelegenheit der Mutter sind. Zunächst erzeugt diese in den ersten 24 Stunden eine abführend wirkende Milch (die sogenannte Kolostralmilch), durch die – das Darmpech (Verdauungsrückstände aus der vorgeburtlichen Zeit) abgeschieden wird. Dieses, wie alle späteren Fäkalien, wird sorgsam von der Mutterhündin abgeleckt. Man kann immer wieder sehen, wie die Hündin mit ihrer Zunge die Bäume der Welpen bearbeitet, eine Massage, die den Stuhlgang der Kleinen erleichtert, und auch das Urinieren wird durch Zungenmassage ausgelöst.
Obgleich die saugenden Welpen eine sehr kräftige und bewegliche Zunge haben, säubern sie sich noch nicht selber das Maul von Milchrückständen. Auch das muss die Mutter tun, die sich überaus hingebungsvoll allen diesen Tätigkeiten widmet. In den ersten 24 Stunden nach der Geburt ist sie so angestrengt damit befasst, dass sie für gewöhnlich das Wurflager überhaupt nicht verlässt. Gute, erfahrene Rüden kommen dann mit Futter an, womit sie sich auch gleich die Erlaubnis erwirken, den hoffnungsvollen Nachwuchs betrachten zu dürfen. Von da ab beteiligt sich der Rüde aktiv an der Welpen-Betreuung, wobei er mit den Kleinen ebenso geschickt umgeht wie die Hündin.
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Die Übergangsphase in der 3. Woche
In der Regel öffnen sich am 13. Lebenstag Lidspalten und äußere Gehörgänge, doch ändert sich damit für den Welpen zunächst noch nichts. Die Sehfähigkeit der Augen entwickelt sich erst um den 17. oder 18. Lebenstag, ist noch da recht unvollkommen und übt sich erst in den Folgetagen richtig ein. Ebenso ist es mit dem Gehör und auch die Nase scheint erst jetzt so richtig zu erwachen. Jedenfalls kann man um den 18. Tag herum beobachten, wie die Welpen nun alles mit der Nase zu untersuchen beginnen, vor allem die Geschwister, mit denen so erste Kontakte aufgenommen werden. Das erste gegenseitige Belecken kann man um den 17. Lebenstag beobachten, auch wird jetzt oft versucht, Ohren, Nase oder Pfoten der Geschwister ins Maul zu nehmen.
So verdient dieser Lebensabschnitt zu Recht seinen Namen. Es ist ein verhältnismäßig schneller Übergang vom reinen, völlig selbstbezogenen Saug- und Schlafstadium zum aktiven Entdecken der engeren Umwelt und zur ersten Kontaktaufnahme mit den Geschwistern, der erste Keim zu dem so vielschichtigen Sozialverhalten des erwachsenen Hundes.
Soziale Verhaltensweisen sind noch nicht entwickelt. Nur der Ausdruck freudiger Erregung in Form eines noch ungeschickten Wedelns mit dem kurzen Schwänzchens wird der Mutter dargebracht, wenn sie nach kurzer Abwesenheit ins Lager zurückkommt. Dann heben sich auch die Köpfe der Mutter entgegen, die Welpen versuchen ihr Maul zu erreichen.
Das ist ein bedeutsames Verhalten. Um den 18. Lebenstag beginnt die Mutter mit der Zufütterung, an der sich gewöhnlich auch der Rüde beteiligt. Sie würgt den Welpen einen Brei halbverdauter Nahrung vor. Das ist die erste große Lernleistung der Welpen, denn schon nach dem ersten Mal der Zufütterung hat der Welpe gelernt, dass es auch aus dem Maul der Eltern köstliche Nahrung gibt. So wird von nun an dem Maul der Mutter oder des Vaters größte Aufmerksamkeit geschenkt, und die Welpen entdecken, dass man die eigene Nase besonders gut an den Mundwinkeln der Alten einbohren kann und dass diese dann oft das Maul weit öffnen und, wenn vorhanden, den bewehrten Futterbrei von sich geben.
Diese erste wichtige Erfahrung prägt bei den kleinen Welpen Verhaltensmuster für das ganze Leben aus. Das Anbetteln der zum Lager zurückkehrenden Alttiere wird zu einem Begrüßungs- und Zuneigungsritual sowohl im innerartlichen Verband, als auch dem Menschen gegenüber.
Nun ist es aber so, dass unsere heutigen Hündinnen kein Futter mehr vorwürgen. Trotzdem Entwickeln die Welpen diese Verhaltensweise genauso.
Angeborenes Können, also Erbkoordinationen aller Art sind nun einmal von Erfahrung unabhängig, aber sie müssen nicht von Geburt an da sein, wenn sie noch nicht gebraucht werden. So treten solche Erbkoordinationen dann auf, wenn ihnen ein entsprechender Schlüsselreiz- in unserem Fall das Futterwürgen- geboten wird. So entsteht der Eindruck, als würde es sich um ein Lernvorgang handeln. Damit ist aber keineswegs ausgesagt, dass nicht gleichzeitig auch tatsächlich ein Lernvorgang dazukommt. Man muss in dieser Hinsicht beim Hund etwas vorsichtig sein. Er ist sehr auf Lernen und das Sammeln von Erfahrungen zugeschnitten und je mehr ein Organismus das ist, um so weniger tritt das angeborene Können in den Vordergrund. Während bei tieferstehenden Tieren, etwa bei Fischen, das angeborene Können für die Erhaltung der Art dominiert und so im Vordergrund steht, dass deren zusätzlichen Lernleistungen nur so ganz nebenher Lücken des Netzwerkes der Erbkoordinationen ausfüllen, sichert das Überleben der weitgehend auf Lernen zugeschnittenen Hunde vordergründig der Schatz an Erfahrungen, und im untergeordnetem Masse sorgen die angeborenen Verhaltensmuster für eine zusätzliche Lebenssicherung, ganz speziell aber auch dafür , dass überhaupt ausreichende Lernleistungen vollbracht werden. So ist der Hund sogar befähigt, in gewissen Fällen einsichtsvoll sein erworbenes Können über bestimmte Triebe zu stellen, diese also zu unterdrücken.
Bis einschließlich des 20. Tages sind die Welpen immer noch an das Lager gebunden und fühlen sich in ihm so sicher und geborgen, dass sie keinerlei Angstreaktionen kennen. Greifen wir mit der Hand in den Welpenknäuel, so wird sofort die neu erworbene Fähigkeit des Erkundens eingesetzt: sie schnuppern lecken, nehmen einzelne Finger ins Maul. Das Lager ist für sie die Welt, und alles was da hineinkommt, gehört einfach in diese Welt.
Das ändert sich spontan am 21. Tag. Da erwacht plötzlich in ihnen der Trieb, der Mutter zu folgen, und sie verlassen erstmals das Lager.
Was nun geschieht kann man nur in intakten Hundefamilien beobachten. Während die Hündin sich um die nachfolgenden Welpen überhaupt nicht kümmert, gerät der Rüde förmlich aus dem Häuschen. Er springt unter allen Anzeichen höchster Freude umher und versucht, mit den Welpen zu spielen. Das geschieht nicht gerade rücksichtsvoll. Er stupst sie mit der Nase umher, wirft die noch recht unbeholfen laufenden Kinder mit den Pfoten um oder packt sie gar mit den Zähnen und wirft sie Meterweit durch die Gegend. Wenn man das zum ersten Mal sieht, hat man den Eindruck, der setze alles daran, die Welpen umzubringen.
Aber die Welpen wissen sich zu helfen. Sie werfen sich laut schreiend auf den Rücken, und in diesem Augenblick wendet sich der Rüde ab. Das ist die Sozialsperre, die bei normalen Hunden als Aggressionshemmer zuverlässig wirkt. Der Rüde hat sich nun also von dem auf dem Rücken liegenden und schreienden Welpen abgewendet, um sich auf einen anderen zu stürzen. Der aber läuft so schnell, als das ihn seine kurzen ungeübten Beinchen tragen können, dem vertrauten Lager zu und verschwindet darin. Bald haben sich alle Welpen hier versammelt und sind um eine große Erfahrung reicher; außerhalb des Lagers gibt es sehr unangenehme Erlebnisse, innerhalb des Lagers ist Geborgenheit. Der Rüde verfolgt die Welpen nicht bis ins Lager. Seine überschäumende Spielfreudigkeit ist sofort zu Ende. Das legt uns nahe, dass es sich um eine Erziehungsmaßnahme handelt.
Hier haben die Welpen zunächst einmal die ungeheuer große Überlegenheit des Vater-Rüden in ganz einschneidender, vielleicht sogar schockartiger Weise erfahren. Außerdem sehen die Welpen dass Lager von diesem Zeitpunkt an, nicht mehr als abgeschnittene Welt an. Steckt man erstmals seine Hand in ein Lager von Welpen, die über 21 Tage alt sind, wird man erleben, dass sie sich ängstlich zurückziehen und sogar drohend knurren- ihre blinde Vertrauensseligkeit der Frühkindheit ist Misstrauen vor dem Unbekannten gewichen.
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Die Prägungsphase von der 4. bis 7. Woche
Die Sinnesleistungen unserer Welpen sind nun voll entwickelt und ermöglichen auch allmählich ein genaues Orten von Wahrnehmungen über Nase, Ohren und Augen. So werden nun mit angespannter Körperhaltung Bewegungsvorgänge in der Umgebung aufmerksam verfolgt. Die Befähigung zur Fortbewegung reift in diesen Wochen rasch und entwickelt sich vor allem im Spiel zu größerer Schnelligkeit, Wendigkeit und Sicherheit. Welpen größerer und schwerer Hunderassen wirken am Ende der siebten Lebenswoche freilich noch weit tollpatschiger als gleich alte Welpen kleinerer Rassen. Diese zunehmenden Fähigkeiten beruhen auch auf einem sich stetig steigernden Bewegungsbedürfnis; dementsprechend werden auch die Schlafperioden kürzer.
Die Welpen, deren Gebiss sich nun schnell entwickelt, interessieren sich schon sehr für das Futter der Eltern und haben auch das Recht, es ihnen fortzunehmen. Schweigend erlaubt es selbst der Rüde, dass ihm ein Welpe einen Futterbrocken aus dem Rachen zieht. Am Anfang wird das Fleisch freilich nur durchgequetscht, aber bald lernen es die Welpen, kleinere Stücke loszureißen und zu verschlingen. Sie sind dabei imstande, walnussgroße Fleischstücke ohne Schwierigkeit herunterzuwürgen. Sollte der Welpe zu viel auf einmal verschluckt haben – etwa aus Futterneid -, dann zieht er sich in eine stille Ecke zurück, würgt die Brocken wieder hervor und fängt von neuem mit dem Fressen an.
Die Welpen saugen natürlich immer noch bei der Mutter. Gewöhnlich bis zum Ende dieser Periode. Anfänglich liegt man noch im Lager zum Saugen, aber je mehr die Welpen sich außerhalb des Lagers herumtreiben, um so häufiger wird nun auch im Freien getrunken. Bald sitzt die Hündin ebenfalls dabei, und schließlich säugt sie ihre Welpen oft im Stehen. Aber immer häufiger flüchtet sie vor den unersättlichen Plagegeistern, deren nadelspitze Zähnchen auch für eine derbe Hundezitze zur Qual werden. Kann sich die Hündin nicht vor den Welpen an einen für jene unerreichbaren Ort zurückziehen, dann vertreibt sie diese knurrend vom Gesäuge.
Wir können jetzt schon bei den Welpen eine ganze Reihe sozialer Verhaltensweisen erkennen: das Wedeln mit dem Schwanze als Ausdruck freudiger Erregung und Zuwendung, das Einklemmen des Schwanzes als Ausdruck ängstlicher Ergebenheit, oder das schon geschilderte Mundwinkelstoßen, Ausdruck freundlicher Ergebenheit und Zuneigung. Die Welpen streiten schon recht zornig um Futterbrocken, sträuben dabei das Fell, legen die Ohren an, ziehen die Mundwinkel zurück und entblößen knurrend die Zähne.
Zwar ist die Heimbindung und die Bindung an die Mutter noch ausgeprägt erhalten, doch wagen sich die Welpen täglich weiter vom Lager weg, vor allem, wenn sie dabei den Eltern folgen können. Entfernen sich diese aber weiter als 30 oder später 5o Meter, bleiben die Welpen zunächst unschlüssig stehen und ziehen es vor, doch lieber wieder zum Lager zurückzukehren.
Neugier und Lerntrieb treten nun stark in den Vordergrund und kennzeichnen das ganze Welpenleben. Alles wird erkundet und probiert, an allen erreichbaren Dingen wird versuchsweise herum gekaut.
Zweifelsohne gibt es jetzt zahlreiche angebotene Lerndispositionen, die zu schnellen Lernerfolgen im Bereich des Nahrungserwerbs und des Sozialverhaltens führen.
Gerade sie müssten noch sehr sorgfältig studiert werden, denn im allgemeinen sind solche besonderen Lernbegabungen ganz spezifisch auf passende Altersstufen verteilt und müssen eben in der jeweiligen Zeit ausgenutzt werden. Kann der Welpe von einer solchen Lernphase keinen Gebrauch machen, besteht nach allem, was ich hier bislang beobachten konnte, die akute Gefahr, dass Störungen bei den jeweils zugeordneten Verhaltensmustern eintreten oder überhaupt Teile des generellen Lernvermögens lahmgelegt werden. Außerdem lassen sich diese verschiedenen Lerndispositionen für Sozialverhalten besonders für die künftige Einstellung des Hundes zum Menschen auswerten.
Mir scheint, dass gerade in diesen Wochen das Lernen von vielen vorprogrammierten Lernbefähigungen bestimmt wird, die zeitlich begrenzt sind, dafür aber das Gelernte zeitlebens festlegen. Mit anderen Worten: Das, was in dieser Zeit nicht gelernt wird, kann niemals mehr nachgeholt werden.
Bei solchen engbegrenzten, zeitlich festgelegten Lernvorgängen sprechen wir von Prägung. Einer solchen Prägung entspricht das künftige Verhältnis des Hundes zum Menschen. Das wenigstens konnte ich bislang genauer analysieren.
Wenn wir täglich in dieser Zeit den Welpen die Möglichkeit bieten, sich mit unserer Hand zu befassen, dann werden aus diesen Welpen dem Menschen gegenüber ausgesprochen kontaktfreudige Hunde. Bieten wir den Welpen diese Möglichkeit während dieser Zeit nur wenige Male, dann werden aus ihnen kontaktarme Hunde. Vermeiden wir in dieser Zeit jede Möglichkeit, dass der Welpe uns beschnuppert, wird es zwischen Mensch und Hund niemals einen Kontakt geben, auch wenn wir uns nach der siebten oder achten Lebenswoche noch so um die Junghunde bemühen. Das Beste, was wir danach noch erreichen können, ist eine gewisse Zahmheit; benehmen wir uns aber ungeschickt, wird der Hund zum Angstbeißer.
Wir haben hier in dieser Richtung viele Versuche angestellt. Es genügt z. B. nicht, dass der Welpe den Menschen täglich sieht, es genügt auch nicht, dass er direkt aus der Hand des Menschen sein Futter bekommt. Er muss unbedingt Berührungskontakt mit dem Menschen bekommen, wobei wohl der Geruch entscheidend ist. Es hat sich auch gezeigt, dass Welpen, die nur mit einem Menschen derartigen Kontakt aufnehmen konnten, späterhin fremden Menschen gegenüber unsicher und kontaktarm blieben, während Welpen, die von vielen Menschen gestreichelt wurden, sich zu richtigen Allerweltshunden entwickelt haben die mit jedem fremden Menschen bereitwillig Kontakt aufnehmen.
Da der Hund ja erfahrungslos zur Welt kommt und seine Artgenossen erst nach dem 18. Lebenstag wahrnehmen kann, muss es einen Mechanismus geben, der das Bild vom Artgenossen unverrückbar für alle Zeiten festlegt. Wenn nun in dieser Zeit zusätzlich der Mensch in Erscheinung tritt und vom Welpen genauso beschnuppert werden kann wie Eltern und Geschwister, dann wird auch er zum Artgenossen, der Welpe wird also auch auf ihn geprägt.
Wie unselektiv dieser Vorgang ist, beweist ein Versuch des Hundeethologen Fox, der Chihuahua-Welpen Katzenwürfen einschmuggelte und von den Katzenmüttern aufziehen ließ. Diese Welpen waren zunächst völlig auf Katzen geprägt und konnten, als sie später normal aufgezogenen Welpen der gleichen Rasse konfrontiert wurden, mit jenen nichts anfangen.
Freilich kann so ein »verkehrt« geprägter Hund später dann doch dahinterkommen, dass andere Hunde Artgenossen sind. In einem derartigen Fall ist die Prägung nicht unverrückbar, denn als Nasentier hat der Hund die Möglichkeit, die Ähnlichkeit seines eigenen Geruches mit dem anderer Hunde zu bestimmen. Er kann dadurch die Barriere überwinden, da ihm ein derart ähnlicher Geruch nicht als fremd, feindlich oder abstoßend erscheint.
Einen ähnlich prägungsartigen Vorgang scheint es nach meinen bisherigen Beobachtungen auch hinsichtlich der Futterwahl zu geben. Hunde, die in diesem Alter niemals rohes Fleisch erhielten, lassen sich späterhin nur sehr mühsam, wenn überhaupt, daran gewöhnen. Die Erfahrung der Eltern bedingt ja, dass der Welpe nur Nahrung erhält, die für einen Hund bekömmlich ist. Es ist also zweckmäßig, wenn dieses Nahrungsangebot sich dem Welpen einprägt, damit er später einmal nicht Gefahr läuft, z.B. giftige Pilze zu versuchen, sondern einfach bei dem bleibt, was sich bewährt hat, und auf das er geprägt ist. Wahrscheinlich können wir noch mit mehr derartigen vorgegebenen und zeitlich begrenzten Lernmechanismen in diesem Alter rechnen, deren genauere Kenntnis für die Erziehung der Welpen zu guten Hunden für uns mancherlei praktischen Wert haben könnte. Auch wenn man diese Möglichkeiten nicht überbewerten will, so scheint doch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass zumindest manches von dem, was der Hundeführer als das »Wesen« im Sinne von angebotenen Charaktereigenschaften nennt, in dieser Zeit beeinflussbare, also umweltabhängige Wurzeln hat.
Wir können feststellen, dass die Eltern in dieser Entwicklungsperiode den Welpen überaus duldsam sind und den Kleinen sehr viel »Narrenfreiheit« lassen. Der Vater spielt geduldig mit den Welpen, allerdings bleibt er anfänglich noch ziemlich grob, als wollte er sie auf ihre Widerstandskraft testen. Aber der tiefere Sinn liegt wohl darin, dass auf diese Weise die Welpen sehr bald lernen, die notwendigen Beschwichtigungsrituale vorzubringen, ehe es noch zur tätlichen Auseinandersetzung kommt. Das lernen die Welpen tatsächlich recht bald, und sie erproben es dann sogar mit erstaunlichem Einsichtsverhalten. So kann man sehr heitere Szenen erleben: Ein Welpe läuft zum ruhenden Vater, baut sich vor ihm auf und vollführt sein Pfötchen geben unter lauten Angstschreien (die auch eine Aggressionshemmung darstellen). Dann beißt er den Alten blitzschnell in die Nase und läuft – man ist versucht, zu sagen: lachend – davon.
Solche Methoden werden auch angewandt, wenn ein Welpe einem Althund einen Futterbrocken wegnehmen will. Wenn der, erstaunt über das Getue des Welpen aufschaut, packt dieser flugs den Brocken und saust damit ab. Man kann natürlich Sozialverhalten auch so einüben.
Durch diese und ähnliche Dinge entwickelt sich zugleich ein festes Vertrauensband zum Rüden, der nun allmählich anfängt, die Welpen ein wenig zu disziplinieren, was gegen Ende dieses Lebensabschnittes deutlicher sichtbar wird. So knurrt er sie jetzt auch an, wenn sie ihm allzu lästig werden und verscheucht sie.
Besonders interessant wird das alles, wenn außer dem Wurf noch weitere Geschwister aus einem früheren Wurf der Eltern im Zwinger sind. Sie sind die Hauptspielpartner der Welpen in dieser Zeit. Werden sie aber einmal im Eifer des Vergnügens zu heftig, dann fährt der Rüde sofort dazwischen und weist den Grobian in die Schranken. Ebenso achtet er darauf, dass kein anderer Hund an das Futter geht, solange die Welpen daran sind, und auch die noch säugende Hündin hat das Vorrecht beim Futter.
Die Einflüsse innerhalb des ersten Lebensjahres prägen den Hund, und sie können stärker sein, als seine angeborenen Eigenschaften.
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Sozialisierungsphase von der 8. bis 12. Woche
Die Welpen sind zwar immer noch verhältnismäßig eng an ihr Heim »erster Ordnung«, also das schützende Lager gebunden, sie haben sich aber sozusagen mit einen umfangreicheren Spielplatz vertraut gemacht, ein kleines Gebiet, das ihnen ermöglicht, bei etwaiger Gefahr schnell in den Schutz des Lagers und der Eltern zu flüchten. Heim »zweiter Ordnung« wird mit zunehmender Behendigkeit natürlich immer mehr erweitert, entsprechend der Neugier der Heranwachsenden. Die Eltern bringen weiterhin Nahrung herbei, häufig auch kleinere Beutetiere, die den Welpen lebend vorgesetzt werden. So können sich die Heranwachsenden im Fangen und Töten von Beute üben (s. Kap.: Der Hund als Jäger). Immer noch dürfen die Welpen zuerst an die Nahrung heran, erst nach ihrer Sättigung gehen auch die Alten an das Futter. Untereinander freilich raufen die Welpen schon sehr nachdrücklich um die besten Stücke, und man kann die nun sehr ausgeprägten Verhaltensweisen der Abwehr mit Fellsträuben, Knurren, Abwehrschnappen und anderes mehr beobachten. Vorhanden waren sie schon in der Prägungsphase, aber ihre volle Entfaltung erreicht das Abwehrverhalten am Futter etwa in der ersten Woche dieses Lebensabschnittes. Und jetzt tut der wachsame Hundezüchter gern das, was ihm zwar seine Liebe zu Hunden diktiert, das aber dennoch grundfalsch ist. Er folgt dem bereits von dem Altmeister der Kynologie Emil Hauck gegebenen Rat und baut sich Futterboxen, in denen die Welpen getrennt fressen können. Das ist gut gemeint, denn es soll keiner zu kurz kommen. Wenn man aber genügend Futter gibt, kommt keiner zu kurz! Denn derjenige, der genug hat, zieht sich vom Futter zurück, und so kommt jeder an die Reihe. Aber das Streiten um Futter hat eine bedeutsame soziale Funktion, denn man lernt dabei als Welpe, wie man sein Recht behauptet, und reagiert überdies eine ganze Menge Aggression ab. Ich jedenfalls habe die Beobachtung gemacht, dass dieser in dem Alter der Sozialisierungsphase so harmlose Scheinkampf ums Futter — es passiert ja im Grunde gar nichts! dazu beiträgt, dass man später ganz friedlich Kopf an Kopf an der Beute frisst, weil man inzwischen gelernt hat, dass aller Futterneid sinnlos ist, wenn man ohnehin genügend Beute durch die Zusammenarbeit auf der Jagd macht. Wer einmal gesehen hat, wie eine Meute von etwa 30 Foxhounds am Ende der Reiterjagd mit einem Pansen belohnt wird, weiß, was ich meine: Da gibt es einen ganzen Berg von strampelnden Hundeleibern, jeder will ein Stück von dem begehrten Futter — aber man hört kein Knurren und kein Zanken, sondern nur zufriedenes Schmatzen.
Ziel aller Jugendentwicklung des Hundes ist beste soziale Partnerschaft mit dem Artgenossen. Nun ist es so, dass der Sozialverband eine höhere Evolutionsstufe darstellt als Einzelgängertum. Einzelgänger dürfen keine Nahrungskonkurrenten dulden. Der Zusammenschluss zu Gruppen führte aber zu einer gesicherten Ernährungsgrundlage. Das Leben in Gruppen mit gesicherter Ernährungsgrundlage verbietet jedoch asozialen Futterneid. Der große deutsche Naturforscher Ernst Haeckel hat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erkannt: In der Jugendentwicklung eines Tieres tauchen viele urtümliche Merkmale auf. Die Höherentwicklung einer Tierart erfolgt nicht so, dass von heute auf morgen alles umgeworfen wird, was bislang brauchbar war. Die unbrauchbar gewordenen Eigenschaften werden oft in Stadien der Jugendentwicklung noch erhalten. Haeckel formulierte das so: Die Jugendentwicklung eines Tieres ist eine kurz gefasste Wiederholung der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Art. Ich halte diese in den ersten Lebensmonaten des Hundes so auffallende Aggressionsbereitschaft am Futter für nichts anderes als eine Art von Abreaktion urtümlicher, »vorhundlicher« Verhaltensweisen, also Urerinnerung an einstiges solitäres Leben der Ahnen hundeartiger Raubtiere. Können die Welpen in ihrer Jugend dieses Verhalten ausreichend abreagieren — also zu einer Zeit, in der dabei kein ernsthafter Schaden entstehen kann, dann werden sie späterhin zu friedlichen Fresskumpanen, die sich bestenfalls zu überlisten suchen, aber des Futters wegen nicht gleich totbeißen. So erlebte ich es wenigstens in Zwingern, in denen mehrere Generationen gemeinschaftlich heranwuchsen und in denen es sogar zu einer Übervölkerung kam. Wenn vierzehn Hunde auf 50 Quadratmeter Zwinger friedlich nebeneinander fressen, dann führe ich das darauf zurück, dass sie ihren archaischen asozialen Futterneid in früher Jugend artgemäss abreagiert hatten. Wie anders wäre es dann aber auch verständlich, dass ein ausgewachsener Rüde — der als Welpe selbst einmal schreckenerregend knurrte, weil ein Bruder oder eine Schwester vom Futterberg auch ein Stückchen haben wollte — peinlichst genau darauf achtet, dass zuerst die säugende Hündin ihr Futter erhält, oder dass später zunächst die kleinen Welpen fressen, und die anderen Rudelmitglieder nicht eher an das Futter dürfen, bis sich die Kleinen den Bauch vollgeschlagen haben. Ein Welpe, der es nicht gelernt hat, in der Gemeinschaft zu fressen, wird zeitlebens futterneidisch bleiben, und er wird als erwachsener Hund seinen eigenen Welpen das Futter skrupellos wegfressen.
Urverhalten, das von der Evolution noch nicht ganz überwunden werden konnte und in der Jugendentwicklung noch auftaucht, muss eben in der gegebenen Zeit abreagiert werden, wenn es später nicht zu einem Störfaktor werden soll.
Soviel zum Verhalten an der Beute. Die Verhaltensweisen des Beutemachens, die sich teils im Spiel, teils im Ernst um diese Zeit mehr und mehr bemerkbar machen, kann ich hier übergehen, da dieser Themenkreis Gegenstand des nächsten Kapitels sein wird.
Hier sollen uns vor allem jene Verhaltensweisen interessieren, die dem zwischen achter und zwölfter Lebenswoche liegenden Lebensabschnitt ihren Namen geben.
Zunächst können wir jetzt häufiger Kampfspiele beobachten, bei denen nicht nur die einzelnen Formen taktischer Bewegungsweisen geübt, sondern auch verschiedene Elemente des Ausdrucksverhaltens sichtbar werden. Es gibt nun Sieger- und Verliererspiele mit Rollentausch, wobei die sozialen Blockaden aggressiver Verhaltensweisen sowohl instinktmäßig als auch über die Erfahrung ausreifen. Im Eifer des Spieles wird gern einmal zu heftig in empfindlichere Körperteile gebissen. Abwehrreaktion und Schmerzlaut des Betroffenen belehren den rüpelhaften Bruder, dass er zu weit gegangen ist. Er lernt dabei, seine eigenen Kräfte abzuschätzen und unter geeignete Kontrolle zu bringen. Wenn wir jetzt einen Welpen nachdrücklich darüber belehren, dass unsere Hand nicht aus Hartholz ist, begreift er bald, wie weit er gehen darf und wird auch als ausgewachsener Hund mit uns »auf die sanfte Methode« spielen. Ein Hund, der es gelernt hat, kann so zart in unsere Hände oder Beine »beißen«, als wenn wir neugeborene Welpen wären.
So werden also in diesen Kampfspielen allmählich jene Regeln entwickelt, die ernsthafte Beschädigungen des Artgenossen und damit Schwächung des Sozialverbandes verhindern. In der anschließenden Rangordnungsphase wird diese soziale Hemmung erstmals eine besondere Bedeutung erhalten.
Eine andere Art von Spielen sind die meist unter Anführung des Vater-Rüden erfolgenden Meutespiele. Sie sind eine Vorübung des Zusammenspieles bei der Jagd auf flüchtiges Wild, das nun der Vater mimt. Er fordert die Jungen zur Verfolgung auf, steigert im Laufe der Zeit durch allerlei Finten die Schwierigkeitsgrade und lässt sich am Ende meist fangen und »überwältigen«.
Während bislang die Welpen volle »Narrenfreiheit« genossen hatten und praktisch alles durften, setzt nun eine zunehmend straffere Disziplinierung durch den Vater-Rüden ein. Seine Härte- und Mutproben bekommen einen ordnungsbestimmenden Charakter, er bestimmt auch Anfang und Ende jedes Spieles mit den Welpen und setzt dabei seinen Willen sehr energisch durch. Der Rüde setzt »Tabus«, um deren Einhaltung er sich sehr konsequent kümmert. So »erklärt« er z. B. einen alten Knochen zum Tabu. Zunächst versuchen die Welpen sich darüber hinwegzusetzen. Sofort werden sie energisch bestraft, indem der Rüde den Gesetzesübertreter am Nackenfell packt und kräftig durchschüttelt. Natürlich schreit der Betroffene und wirft sich, sobald losgelassen, demütig auf den Rücken. Kurze Zeit später aber, wenn der Rüde augenscheinlich mit anderem beschäftigt ist, schleicht der Gemaßregelte ganz vorsichtig abermals zu dem tabuisierten Knochen — und erhält neuerdings Prügel. Das kann sich mehrfach wiederholen, und man hat den Eindruck, dass es der Welpe ganz genau wissen will, was er von der Konsequenz des Alten zu halten hat. Wer einen Welpen zu Hause hat, wird dieses Erproben des Erziehers durch den Welpen ebenso gut beobachten können.
Die auf diese Weise herausgeforderte Bestrafung des Welpen wird von ihm aber genau verstanden. Sie ist das Recht des Vaters, und sie wird alsbald durch größte Anhänglichkeitsbezeugung beantwortet. Freundlich geht der Bestrafte zum Rüden und erweist ihm durch Schnauzenstoß, Mundbelecken und Pfötchengeben seine Reverenz. Es ist, als wollte er sagen: » Chef, du weißt, was du willst, zu dir kann man Vertrauen haben.« Uneingeschränkte Anerkennung der elterlichen Autorität ist eben die Grundlage für das Überleben der Art — nicht nur beim Hund!
So entwickeln sich also aus dem kindlichen Spiel soziale Verhaltensweisen, insbesondere auch die Partnerschaft mit den Eltern. Das hat natürlich auch für uns eine besondere Bedeutung, denn wir müssen uns gerade in dieser Zeit darum bemühen, die Sozialisierung mit dem Menschen auszubauen. Wird das unterlassen, so wird die soziale Bindung an den Artgenossen stärker als die zum Menschen.
Der Welpe muss also das Zusammenspiel mit dem Menschen als eine für beide Seiten erfreuliche Wechselbeziehung kennenlernen. Freundliche Reaktionen des Menschen, wie Loben oder Streicheln auf erwünschte Verhaltensweisen, prägen sich dem Welpen ebenso ein wie disziplinierende Strafen (etwa Anpacken am Nackenfell und Schütteln) bei Übertretung von Tabus. In der Regel sind hier einige Wiederholungen notwendig, da der Welpe, wie schon angedeutet, auch die Konsequenz seines menschlichen Erziehers erprobt.
Wichtig ist, dass wir so oft als möglich mit dem Welpen spielen. Je lustvoller das Spiel mit dem Menschen ist und je mehr erstes Lernen als Spiel empfunden wird, um so größer wird die künftige Lernfreudigkeit des Hundes. Sie wird in dieser Phase für alle Zeiten festgelegt.
Der Welpe muss dabei auch im Umgang mit Menschen Selbstsicherheit und Selbstvertrauen entwickeln; das notwendige Disziplinieren muss deshalb in einem vom Welpen verkraftbaren Rahmen bleiben. Das ist der Fall, wenn der Welpe auch nach einer unumgänglich notwendigen Strafe unmittelbar danach seine Anhänglichkeitsbezeugung darbringt. So sollten wir es uns auch zum Grundsatz machen: Strafe gibt es nur auf Übertretung von klar festgelegten Verboten. Es ist wohl überflüssig, näher zu begründen, dass diese Strafe auch auf dem Fuß folgen muss, damit dem Welpen der Zusammenhang von Übertretung und Strafe verständlich ist. Das bedeutet, dass man — genau wie der Hunderüde — den Welpen in dieser Phase stets im Auge behalten muss, und, kann man das nicht, notfalls so unterzubringen hat, dass er keines der im Zusammenleben mit dem Menschen notwendigen Tabus überschreiten kann. Dabei muss man natürlich darauf bedacht sein, dass der Welpe stets nur kurzfristig allein bleibt. Erst wenn der Welpe etwas älter geworden ist, also nach Ablauf dieser Lebensphase, kann man vorsichtig eine nachträgliche Bestrafung anwenden, nämlich dann, wenn er imstande ist, seine zurückliegende Tat mit unserem Unwillen zu verknüpfen. Das geht dann, wenn man ihm etwa das zerbissene Buch unter die Nase hält und er zu erkennen gibt, dass er sich schuldig fühlt. Er kann das dann bekanntlich so überzeugend darstellen, dass man Hundeverhalten nicht erst gelernt zu haben braucht. Ob man den Junghund hart oder milde bestrafen soll, ist eine Frage, die man individuell entscheiden muss; nicht jeder Welpe ist gleich, mancher braucht eine festere, mancher eine leichtere Hand.
Strafe selbst ist ein weiter Begriff. Sie reicht von einer unwilligen Abwendung von dem Sünder über leisere oder lautere Worte bis zum kräftigen Klaps oder Durchschütteln. Auch das muss jeder mit seinem Hund ausmachen, da gibt es kein Rezept.
Wenn wir vom Welpen etwas wollen, wenn er etwas nach unseren Wünschen machen soll, dann erreicht man das nur über Belohnung. Wenn der Hund den Ball nicht apportiert, darf er deswegen nicht bestraft werden. Man kann höchstens das Spiel abbrechen, wird umgekehrt ihn aber überschwänglich loben, wenn er erstmals den Ball bringt.
Für den kleinen Hund ist jedes Spiel mit seinem großen Beschützer ein erfreuliches, lustbetontes Erleben. Er kann kaum genug davon bekommen und möchte so lange mit uns spielen, bis er müde ist. Nun ist es im allgemeinen so, dass wir schneller müde werden als unser Hund. Da aber gerade in diesem Alter der Spielabbruch als disziplinierende Maßnahme vom Welpen durchaus begriffen wird, können wir uns das leicht zunutze machen, indem wir das Spiel dann abbrechen, wenn er dabei etwas tut, was er nicht tun sollte. So eine passende Gelegenheit findet sich meist leicht. Wir können als Spielabbruch auch den Ball weiter wegrollen, dann wird er sich mit ihm beschäftigen und uns in Ruhe lassen. Es könnte aber sein, dass er dabei einmal mehr oder weniger zufällig den Ball zu uns bringt. Das ist der große Augenblick, den wir nicht versäumen sollten. Wenn wir jetzt unsere Freude zeigen und weiterspielen, wird der Welpe den Zusammenhang begreifen (wobei wir nicht enttäuscht zu sein brauchen, wenn er das nicht schon mit sechs Wochen tut!).
Alle gemeinsamen Unternehmungen — wie man Ausbildung, Abrichtung oder Dressur auch nennen könnte — können so aus der Beobachtung des vergnügten Welpenspieles heraus entwickelt werden, und damit bleibt für den Junghund alles Lernen lustbetont. Wenn der Wunsch des Menschen nach besonderen Leistungen für den Hund stets mit einem freudigen Erleben verbunden ist, wird für ihn Lernen auch späterhin, wenn er längst erwachsen geworden ist, ein Vergnügen sein. Nur unter diesen Voraussetzungen erfüllt der Mensch seine Rolle als Erzieher, als anführender Sozialpartner, und nur so kann er eine sinnvolle und beständige »Mensch-Hund-Meute« aufbauen.
Die vorgebliche »Wesensschwäche« so vieler Hunde beruht häufig genug auf Erziehungsfehlern in der Sozialisierungsphase, in der zumeist viel zu wenig mit dem Hund gespielt, dafür umso mehr »dressiert« wird. Manche Menschen halten sich für verhinderte Löwenbändiger und den Hund für einen wilden, reißenden Wolf, wobei sie gleich zwei Denkfehler begehen. Erstens ist ein Raubtierdompteur längst kein Tierbändiger mehr, der die »wilde Bestie« unter seinen eisernen Willen zwingt, sondern ein feinfühliger Tierfreund, der weiß, dass er die größten Leistungen nur dann erwarten kann, wenn die großen Katzen mit Freude bei der Arbeit sind. Zweitens gibt es keinen »wilden, reißenden« Wolf, sondern nur freundliche, überaus friedliche Wölfe, die niemandem etwas zuleide tun wollen, sieht man davon ab, dass sie von der Natur dazu geschaffen wurden, die Übervermehrung vieler Tierformen ihres Lebensraumes zu verhindern und dafür deren Bestand durch Beseitigung schwächlicher Individuen gesund zu erhalten. Für diese Lebensaufgabe haben sie ein Sozialleben entwickelt, das selbst uns Menschen beispielhaft sein kann und das sie — zumindest in Form des Hundes — mit uns zu teilen bereit sind. Wer das verkennt, und wer das nicht gerade in jener Zeit, in der der Welpe seine sozialen Antriebe verwirklicht und ausbaut, sehr bedacht fördert, der macht sich dem Hund gegenüber schuldig.
Die in dieser Zeit durch falsche Behandlung erworbenen Unsicherheiten sind kaum mehr rückgängig zu machen, die unverkraftbaren Konfliktstoffe wirken in der Seele des Hundes zeitlebens nach. Das Schicksal eines in seiner Jugend falsch behandelten Hundes liegt auf der Hand. Oft genug muss die Spritze des Tierarztes seinem verpfuschten Leben ein Ende setzen, und nur sehr, sehr selten findet er verständnisvolle Menschen, die sich seiner mit viel, viel Geduld annehmen, um ihm wenigstens ein endgültiges Zuhause bieten zu können.
Es kann wohl nicht oft genug betont werden, dass der Hund kein festgelegtes Instinktwesen ist. Es genügt nicht, alle angeborenen Verhaltensweisen zu erlernen, um besser mit dem Hunde auszukommen. Viel wichtiger ist es dagegen, seine altersbedingten angeborenen Lernfähigkeiten genau zu analysieren, sein Verhältnis zum Elternkumpan zu beobachten, und man muss die Interaktionen zwischen Vater-Rüden und Welpen in den einzelnen Lebensphasen studieren, um zu wissen, wie und wodurch sich die jeweilige Hundepersönlichkeit aufbaut. Er ist eben ein Lerntier, und so erfordert die Erforschung seiner Sozialentwicklung und dessen, was dabei gelernt wird, unsere größte Aufmerksamkeit. Weite und Umfang der sozialen Partnerschaft zwischen Mensch und Hund werden eben jetzt in der Sozialisierungsphase unwiderruflich geprägt und wirken für alle weitere Zukunft auf fast alle Eigenschaften des Hundes ein.
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Rangordnungsphase in der 13. bis 16. Woche
Je älter die jungen Hunde werden, um so schwerer wird es nun auch, genauere Zeitbestimmungen für die einzelnen Lebensabschnitte und der in ihnen auffallenden Verhaltensweisen und Reifungsvorgänge festzulegen. Bei den einzelnen Hunderassen mag es da größere Schwankungen geben, da manche früh andere später reif sind. Auch kann sich jetzt die Erscheinung der Verjugendlichung, wie sie im Haustierstande häufig ist, bereits deutlicher abzeichnen, das heißt, dass manches in körperbaulicher wie seelischer Entwicklung nicht so vollkommen oder verzögert ausreift. Gerade die Rangordnungsphase beleuchtet das deutlich. Sie ist nämlich bei temperamentvollen oder grundsätzlich zur Aggression neigenden Hunden viel schärfer erkennbar als bei Hunden, die jene Eigenschaften nicht so ausgeprägt aufweisen.
Grundsätzlich entwickelt sich die Rangordnung innerhalb der Welpenschar schon in den ersten Lebenswochen; es wäre sogar denkbar, dass die körperliche Entwicklung während der vegetativen Phase in einem ursächlichen Zusammenhang mit der künftigen Rangordnung steht. Der Welpe, der sich am stärksten entwickelt, wird eben der Ranghöchste, und derjenige, der am schwächsten entwickelt ist, wird der Rangniederste. Ich bin aber gar nicht so sicher, ob das alles so einfach ist. Rangordnung ist nicht nur eine Frage der körperlichen Stärke. Sie ist bei einem Lernwesen wie dem Hund auch eine Frage der Intelligenz, und es mag sein, dass spätere körperliche Unterschiede erst eine Folge davon sind. Wenn ein Welpe mit schneller Auffassungsgabe mehr Futter oder qualitativ besseres Futter ergattert, hat er Aussicht, stärker als seine Geschwister zu werden. Das kann dann vortäuschen, dass seine Rangordnung nur eine Frage körperlicher Kraft ist.
Aber Kraft ist bei einem sozialen Rudeltier nicht alles. Ich habe oft genug erlebt, wie sich ein großer, kräftiger Hund einem Hund einer viel kleineren Rasse freundlich ergeben zeigt, weil der Kleine älter ist. Ich habe ebenso gesehen, wie ein körperlich weit unterlegener Hund seinen großen Artgenossen einsichtslos immer wieder angriff, obgleich er dabei jedes Mal Prügel bezog. Auch hier war der Große jünger, aber es lag dabei eine schwierige Situation vor, wie sie nur von Menschen herbeigeführt werden kann. Versetzt man nämlich einen älteren, sich zum Hause gehörig fühlenden Hund in einen Zwinger und führt man einen jüngeren in Haus und Familie ein, dann hat man eine unlösbare Konfliktsituation geschaffen. Der Ältere kann es nicht verwinden, dass ein Jüngerer seinen Platz eingenommen hat, und der Jüngere ist natürlich nicht bereit, seinen Platz aufzugeben, er fühlt sich wohl auch verpflichtet, Familie und Haus gegen den in den Zwinger verbannten Hund zu verteidigen. Rangordnung also ist nicht oder zumindest nicht allein eine Frage der körperlichen Überlegenheit, sie ist wohl weit mehr eine Frage der psychischen Überlegenheit.
Nun kann man von sechs oder acht Wochen alten Welpen noch nicht erwarten, dass sich ihre seelische Überlegenheit voll entwickelt hat. Es muss zur Festlegung der Rangordnung innerhalb der Welpenschar – die ja einmal ein Rudel werden soll – noch eine Art von Abschlussprüfung vorgesehen sein. Auf freier Wildbahn jagende Wölfe können es sich nämlich nicht leisten, dass die Rangordnung immer wieder in Frage gestellt wird. Das würde die Schlagkraft des Rudels erheblich schwächen.
Solche Dinge kann man nur in Zwingern oder Gehegen sehen, in denen Rudelfremde zusammengesetzt werden, die nicht in Familienverbänden aufgezogen worden sind. Aber selbst dann, wenn man Hunde zusammensetzt, die in verschiedenen Familien aufgewachsen sind, geht es immer noch nicht gut, weil einmal die Individualität der Familien Unterschiede im Aufwachsen der Jungtiere mit sich bringen kann, und außerdem, weil eben diese zusammengewürfelten Tiere ihre Rangordnung nicht eingespielt und gefestigt haben. Sie müssen sie nun austragen, und das ist bei Hunden, die älter als ein Jahr sind, sehr problematisch. Leicht genug kann das sogar mit dem Tod des einen oder anderen Hundes enden. Auf jeden Fall wird, wenn die zusammengesetzte Gruppe größer ist, immer eine gewisse Unruhe und Neigung zu aggressiven Handlungen vorhanden sein.
Anders ist das, wenn eine Welpengruppe gemeinsam die Rangordnungsphase durchläuft. Nur sie ist von größerer Unruhe erfüllt, und wir können auch viel aggressives Verhalten beobachten. Allerdings sind die Junghunde noch in einem Alter, in dem sie sich nicht – oder in der Regel nicht – ernsthaft verletzen. Eine Ausnahme machen da die einst auf Aggressivität gezüchteten Terrier. Ich habe selbst gesehen, wie schwer ein Skye-Terrier von seinen Geschwistern verletzt worden ist, und die Züchterin berichtete mir, dass solche »Unfälle« fast in allen Würfen zu verzeichnen seien.
Doch soll uns hier weniger diese übersteigerte Aggression beschäftigen als vielmehr das Normalverhalten bei gesunden Junghunden. Und da lässt sich in dieser Zeit sehr schön beobachten, wie neben lausbubenhaften Rangeleien – die natürlich mit viel Geschrei verbunden sind – auch sehr überzeugende Mutproben geliefert werden, bei denen es auf »Wesensfestigkeit«, auf seelische Widerstandskraft allein ankommt.
Ich kann mich hierzu auf ein Beispiel beschränken, da es sehr gut zeigt, worauf es bei diesen jugendlichen »Rangordnungskämpfen« in Wahrheit ankommt. Ich hatte einmal einen Wurf von fünf norwegischen Elchhunden, die als sehr temperamentvolle und stimmfreudige Kerle während dieser Zeit jeder Rockerbande alle Ehre gemacht hätten. Dabei konnte ich folgende Szene beobachten: einer hatte sich mit einem Futterbrocken unter die Hütte verzogen. Die anderen vier standen nun um die fast von allen Seiten offene Bodenvertiefung herum und unternahmen abwechselnd Scheinangriffe auf den ersteren. Es sah zunächst so aus, als wollten sie ihn mit aller Gewalt da herausbekommen. Aber bald zeigte es sich, dass sie keine Gewalt anwandten – alles, was sie da mit Geschrei, Gebell und Knurren, mit Drohschnappen und Beißstößen in die Luft aufführten, waren nichts anderes als Einschüchterungsversuche, so, als wollten sie zu viert den fünften seelisch fertigmachen und zur Flucht veranlassen. Aber der ließ sich nicht irremachen, schnappte nach allen Seiten und behauptete seine Position, bis die anderen der Sache müde wurden und einer nach dem anderen abzog. Er hatte die Probe bestanden.
Da sich nun solche Szenen wiederholten, und zwar mit vertauschten Rollen, so liegt der Schluss doch wohl nahe, dass in der Rangordnungsphase weit mehr die psychische Widerstandskraft, die psychische Überlegenheit eine Rolle spielt als die körperliche Kraft.
Wir wissen auch aus Beobachtungen an anderen sozial lebenden höheren Tieren, wie etwa Elefanten oder Pavianen, dass dort die Führung der Herde oder des Trupps nicht vom stärksten, sondern vom erfahrensten, meist altem Tier gebildet wird. Das bedeutet, dass die Erziehung der Nachkommen auf Anerkennung dieser Form von Autorität ausgerichtet sein muss. Nicht anders ist das auch bei unseren Hunden, und das äußert sich ebenso bei deren Festlegung der Rangordnung.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn wir in dieser Entwicklungsphase schon sehr schön beobachten können, dass der Vater- Rüde keineswegs wegen seiner körperlichen Überlegenheit respektiert wird. Das taten die Welpen zweifelsohne früher, als ihnen sozusagen die nötige Einsicht fehlte und sie daher auch entsprechend »handgreiflich« diszipliniert werden mussten. Zwar fährt der Vater auch jetzt ein oder das andere Mal ganz energisch dazwischen, wenn die Rangeleien der Junghunde über das Ziel hinausschießen und sie zu aggressiv werden. Sonst aber genügt von seiner Seite ein mahnender Blick, um den Sprössling zur Ordnung zu rufen. Umgekehrt wird aber deutlich, wie sehr die Junghunde an dem Alten hängen. Es ist das keine Unterwürfigkeit, wenn sie immer wieder zu ihm hingehen, um ihm rasch einmal die Schnauze zu lecken. Ich habe mich schon in meinem früheren Buch gegen den von Rudolf Schenkel gebrachten Ausdruck »aktive Unterwerfung« in diesem Zusammenhang ausgesprochen. Für mich ist das eine Anhänglichkeitsbezeugung, ein Ausdruck der »Gefolgschaftstreue«, wie Konrad Lorenz sagen würde, kurz, eine freiwillig zum Ausdruck gebrachte Anerkennung der väterlichen Autorität im Sinne von »Vater ist der Beste! «
Wem das zu vermenschlicht klingt, der schlage im Kapitel »Der Hund als Freund« nach. Tatsache ist, dass das Zusammenleben der Junghunde mit ihren Eltern überaus harmonisch verläuft. Es gibt in der Hundefamilie kein »Generationenproblem«, und kein Junghund steigt gegen die Hundegesellschaft auf die Barrikaden. Das Vorhandensein einer anerkennenswerten Autorität gibt ihm die Sicherheit seiner Existenz und damit die Möglichkeit zur freien Anpassung an die bewährte Sozialordnung.
Man muss dazu aber auch sagen, dass auf diesem Wege die Umweltoffenheit erhalten bleibt, die Fähigkeit, ein Leben lang weiter zu lernen, sich veränderten Umweltbedingungen erfahrungsmäßig anzupassen. Das ist der Grund, warum der Vaterrüde als Autorität bestehen kann, und das ist der Grund, warum der Sohn einmal selbst als Vater für seine Kinder Autorität sein wird. Wäre das in der Wolfsfamilie nicht so, dann wären die hundeartigen Raubtiere ausgestorben, ehe der Mensch aus ihnen seinen treuesten Begleiter hätte gewinnen können.
Wollen auch wir uns in dieser Zeit »artgemäß« verhalten, dann brauchen wir nur nachzuahmen, was der Vaterrüde macht. Er baut jetzt alle Spiele mit den Welpen aus, insbesondere die Jagd- und Beutespiele, und er »schult« sie dabei bald soweit ein, dass sie allmählich das Rüstzeug als brauchbare Jagdgehilfen durch geübt beherrschen. Auch wir können jetzt schon mehr vom Junghund fordern, wenn wir durch vorwiegend stimmliche Belohnung die von uns gewünschten Verhaltensweisen aus dem Spiel herausarbeiten. Wir sollten es uns dabei zur Regel machen, sogleich mit einem anderen Spiel fortzusetzen, wenn der Hund das von uns Gewünschte richtig gemacht hat Würden wir in diesem Fall die Übung wiederholen, dann würden wir den Hund verunsichern, er müsste glauben, dass es noch nicht richtig war.
Das gilt ganz besonders von den Unterordnungs- und Gehorsamsübungen, die wir jetzt täglich ein wenig schulen können, aber möglichst nicht länger als eine Viertelstunde lang. Kommandos wie »Sitz«, »Platz«, »bei Fuß«, das lässt sich jetzt schon ganz gut beibringen, darf aber niemals langweilig für den Junghund werden und schon gar nicht solche Formen annehmen, dass er diese Übungen fürchtet. Ich habe schon Hunde gesehen, die sich versteckten, wenn der Herr mit ihnen ausgehen wollte, weil bei diesen Spaziergängen dann stets solche Übungen zum lästigen Zwang wurden. Manche Menschen können es nämlich nicht lassen, sich in der Öffentlichkeit mit ihren Hunden zu produzieren. Man sollte daran denken, dass ein Junghund draußen durch vielerlei abgelenkt werden kann – daher diese Dinge nur an Orten üben, die ihm gut vertraut sind. Später, wenn er es einmal kann und sein Können ihm selbst Freude macht, wenn unsere Partnerschaft so gut gediehen ist, dass es dem Hund auch Freude macht, unseren Wünschen zu folgen, dann ist das was anderes. Ich traue klugen Hunden so viel Beobachtungsgabe zu, dass sie erkennen, welchen gesteigerten Wert ihre Herrchen darauf legen, dass sie vor einem Publikum besonders schön folgen. Was dann kommt, ist Charaktersache; es gibt nämlich Hunde, die gerade dann – nicht folgen. Aber vielleicht auch nur deswegen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass das Herrchen es nicht wagt, sie öffentlich zu bestrafen.
Jedenfalls erkennt der Welpe in diesem Lebensabschnitt keineswegs mehr allein die rohe Gewalt an, sondern sieht die Überlegenheit desjenigen, dem er sich unterordnen soll, auf weit höherer Ebene. Er will die Autorität anerkennen können, denn sie allein gibt ihm die Gewähr, dass Können und Erfahrung des Rudelführers sein Überleben absichern. Das ist nicht von Beginn dieses Lebensabschnittes da, sondern reift in dieser Zeit allmählich heran und wird gegen Ende des vierten Lebensmonates klar erkenntlich. Dabei wird auch das Spiel nun nicht allein mehr zur selbstbezogenen Übung des Könnens,
sondern unabhängig davon auch zu einer gruppenbindenden Verhaltensweise, sowohl unter den Welpen als auch mit den Eltern. Der erwachsene Hund spielt mit uns ja auch nicht, um sein Können auszubauen, sondern als partnerschaftliche Übung. Die Freude liegt dabei nicht, wie im Welpenalter, an dem Entdecken des eigenen Könnens, an der Bewegung an sich, sondern an dem »Miteinander«. So wird das Spiel zu einem Teil der Gruppenbindung, die wir im Kapitel »Der Hund als Freund< noch genauer betrachten werden.
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Rudelordnungsphase im 5. und 6. Monat
So sind nun alle Voraussetzungen gegeben, um die soziale Partnerschaft mit den Eltern zu einer straffen Rudelorganisation auszubauen, in der die Junghunde bereits vollwertige Jagdpartner werden. Bei den Wölfen fällt diese Zeit in die Herbstmonate, im Norden wird es schon Winter. Im Hauptverbreitungsgebiet der Schakale setzen die Regenfälle ein, die Herden der großen Weidetiere wandern; ihnen folgen die großen Raubtiere, denen sich die Schakale anschließen. Auch bei den Dingos wird es um diese Zeit Winter. So ist ein sehr enger Zusammenhalt der nunmehr weitere Streifzüge und Wanderungen unternehmenden Wildhundarten lebensnotwendig. Die Vorrangstellung der zu Rudelführern gewordenen Eltern muss eingespielt sein. Und bei den Jungen ist die Rangordnung geklärt, die auch Grundlage für die Arbeitsteilung auf der gemeinsamen Jagd wird. Damit sind alle Voraussetzungen zur Sicherung der Rudelexistenz gegeben.
Die von Konrad Lorenz beobachtete Tatsache, dass stärker wolfsblütige Hunde – die »Einmannhunde « in diesem Alter sich für immer an einen Herrn binden, ist in diesem Zusammenhang besonders interessant. Es ist nämlich gut vorstellbar, dass eine solche Prägung auf den Leitwolf, die zu einer unverbrüchlichen Gefolgschaftstreue führt, mit zur Sicherung des Daseinskampfes gehört. Gewöhnlich wandern, wie wir noch sehen werden, die Jungwölfe nach dem Winter ab und streifen auf eigene Faust umher. In manchen Gebieten mag es aber sinnvoll sein, wenn man in größeren Rudeln jagt. Alttiere und Jungtiere eines Wurfes bringen bestenfalls eine Kopfstärke von acht zusammen. Wenn sich nun die Jungwölfe des Vorjahres wieder einfinden und zugesellen, so ergibt das eine größere Kampfstärke, wozu kommt, dass die Vorjährigen entsprechend erfahrener sind. Bekannt ist auch, dass die Welpensterblichkeit bei den Wölfen recht groß ist, und es ist durchaus möglich, dass einmal ein ganzer Wurf zugrunde geht. Die Altwölfe müssten dann zu zweit mit der winterlichen Jagd auf Großwild fertig werden, was sicher wenig Erfolg bringt. Kommen nun die Jungwölfe vom Vorjahr dazu, wird das schon einfacher, und es ist auch auf Grund einzelner Daten aus Freilandbeobachtungen gut denkbar, dass selbst noch ältere Nachkommen des betreffenden Elternpaares sich erneut einfinden, vor allem dann, wenn sie selber kinderlos geblieben sind. So mag diese Gefolgschaftstreue dazu beitragen, dass sich die Sippe in Notzeiten zusammenfindet, um durch bessere Jagderfolge, wie sie die Rudeljagd gewährleistet, überleben zu können.
In der Rudelordnungsphase wird natürlich auf der gemeinsamen Jagd von jedem der Jungwölfe die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit unter Führung eines erfahrenen Leittieres den jagdlichen Erfolg sichert. Diese Erfahrung ist also ausgesprochen positiv getönt und wird dazu beitragen, dass auch künftig Gruppenbildung angestrebt wird. Hinzu kommt außerdem die Erfahrung, wie der Einsatz jedes Gruppenmitgliedes zum Erfolg beiträgt, und wie sehr es auf die Fähigkeiten jedes einzelnen ankommt.
Kurz, es wird auf diesen gemeinsamen Jagden gelernt, wie befriedigend eine solche Zusammenarbeit ist. Und so wäre es nicht von der Hand zu weisen, dass gerade in diesem Alter auch entsprechende Lernbefähigungen vorhanden sind. Ich selbst kann hierzu natürlich nichts aussagen, da ich meine Hunde nicht in den Wald schicken darf, um sie auf der Jagd zu beobachten, und es hätte auch wahrscheinlich nicht viel Zweck, denn die Elternhunde haben selbst keine Rudeljagd – Erfahrung.
Immerhin habe ich aus meist sehr ungewollten Beobachtungen heraus zumindest eines feststellen können: Im Alter von 5 und 6 Monaten neigen die Junghunde sehr dazu, größere Streifzüge zu unternehmen, und zwar stets gemeinsam. Ist zufällig auch ein älterer Hund zur Hand, so fühlt sich der offensichtlich verpflichtet, mit diesen Junghunden loszuziehen, auch dann, wenn er sonst ein ganz braver Hund ist, der stets dicht beim Hause bleibt. Hier scheint doch ein angeborener Jagdtrieb zu erwachen, das Bedürfnis, in Gemeinschaft auszuziehen. Solche Streifzüge dauern meist nur wenige Stunden, und häufig genug beschränken sich die Hunde damit, einige hundert Meter entfernt auf einer Wiese nach Mäusen zu graben. Aber man kann da auch beobachten, dass sie zwischendurch einander jagen, also Jagdspiele aufführen, und das gibt zu denken. Da ich bedauerlicherweise diese Hunde, denen solche Streifzüge in einem unbewachten Augenblick gelingen, gewöhnlich nur mehr tot zu Gesicht bekomme – die Grabmühle liegt im Grenzbereich von gleich drei Jagdrevieren! -, so kann ich nichts darüber aussagen, welchen Einfluss dieses gemeinsame Unternehmen auf die weitere Entwicklung hat. Ich beneide da immer den Filmhund »Lassie«, der stundenlang durch Wald und Flur streifen darf, ohne sofort von Jägern erschossen zu werden. Es hat sich bei uns die Erkenntnis noch nicht so durchgesetzt, dass Junghunde ohne jagderfahrenen Anführer keine Erfolgschancen haben, und sollten sie tatsächlich ein Stück Wild »erbeuten«, dann kann es sich nur um eines handeln, das längst hätte ausgemerzt werden müssen; ein gesundes Reh erwischen sie niemals.
Jedenfalls dürfen wir annehmen, dass in dieser Zeit abermals wichtige, teils angeborene, teils erlernte Verhaltensmuster ausgeprägt werden, und wir sollten im Umgang mit unserem eigenen Junghund die Zeit nicht ungenutzt lassen. Hierfür müssen wir uns zunächst zwei wichtige Fakten vor Augen halten: Erstens bleiben wir Elternkumpanen, denn wir bringen dem Junghund weiterhin das Futter und gehen nicht mit ihm auf die Jagd – sofern wir eben nicht einen Jagdhund ausbilden. Zweitens bleiben wir mit unserem Hund gewissermaßen in der Rudelordnungsphase stecken, denn er bleibt ja zeitlebens mit uns zusammen, sogar dann, wenn er im Freileben, als Wolf, längst ein eigenes Rudel anführen würde. Wir verschieben also ab da die naturgegebenen Verhältnisse recht einschneidend.
Wir müssen daher die Zusammenarbeit, wie sie in der Rudelordnungsphase freilebender Hundeartiger erfahren wird, auf andere Möglichkeiten umleiten. Gemeinsame Jagd erfordert eine gewisse Disziplin. Wir bieten diszipliniertes Spiel – neben dem völlig gelösten, das wir zuvor als gruppenbindend bezeichnet haben – und in ihm erste Vorstufen zu jener Ausbildung, die dem künftigen Verwendungszweck dient. Aber auch dann, wenn wir keinen Diensthund oder Jagdhund ausbilden, ist es sehr anzuraten, dem Hund etwas beizubringen, und wenn es nur kleine, fröhliche Kunststückchen sind. Unser Hund befindet sich entschieden noch in einem ausgeprägten Lernstadium, und wenn wir das nicht nützen, dann wird die psychische Struktur des Hundes verkümmern. Gerade jetzt braucht er uns ja als Rudelführer, von dem er als gut vorbereiteter Schüler die Besonderheiten gemeinsamer Aktionen bis zur Vollkommenheit übt.
Mit solchen kleinen Aufgaben und Übungen, auch jenen, die zur Unterordnung gehören, kann der Mensch seine Stellung als Rudelführer festigen, wobei er mehr durch Selbstsicherheit als durch Gewalt seine Stellung unterstreichen sollte. Der Junghund erwartet ein »Leitbild« des erfahrenen, psychisch überlegenen Anführers und ist keineswegs darauf eingestellt, einem Tyrannen zu Diensten zu sein. Es ist also eine kritische Phase, die sehr leicht zu künftigen Erziehungsschwierigkeiten führen kann, wenn diese Vorrangstellung als umsichtiger und überlegener Meuteführer vom sehr scharf beobachtenden Hund nicht anerkannt werden kann. Er ist jetzt sehr geneigt, die eigene Ranghöhe zu verbessern, wenn das Leitbild versagt. Das beginnt damit, dass er sich weniger um die Wünsche seines Herrn kümmert, bereits gelernte Kommandos geflissentlich überhört, und so fordert er uns heraus. Wir werden dann gern bös und machen alles noch verkehrter – das steigert sich bis zu dem Tag, an dem uns der inzwischen erwachsene Hund direkt droht, oder uns ganz raffiniert überrundet, indem er sich zu einem Haustyrannen entwickelt. Wenn der Herr als Rudelführer versagt, muss es der Hund werden, denn eine Familie ohne Anführer oder Haushaltungsvorstand darf es – zumindest in den Augen des Hundes – nicht geben!
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Pubertätsphase
Der Beginn dieser Phase lässt sich nur schwer bestimmen, da hier sehr unterschiedliche Verhältnisse bei den einzelnen Hunden vorliegen. Ganz allgemein kann man wohl den siebenten Lebensmonat als jenen bezeichnen, der für unsere Haushunde als der früheste Termin in Frage kommt. Wie bei meinen Dingos kann bei vielen Hündinnen bereits jetzt die erste Läufigkeit auftreten. Ist sie voll ausgeprägt und zeigt sich die Hündin bereit, einen Rüden anzunehmen, dann endet die Pubertätsphase auch in diesem Monat. Meine so frühreifen Dingo Hündinnen sind schon in einigen Fällen in diesem Alter gedeckt worden und brachten dann mit neun Monaten unbeschadet gesunde Welpen zur Welt, die sie auch ganz normal aufzogen. Auch die Dingo Rüden sind in diesem Alter bereits zeugungsfähig. Die meisten Haushund – Rüden hingegen zeigen ihr Erwachsensein durch das bekannte Beinheben beim Urinieren erst mit neun Monaten, wenn nicht noch später, an.
Wölfinnen zeigen im zweiten Lebenssommer, also etwa im Alter von 13 oder 14 Monaten, eine Art von Scheinbrunst, die offenbar dazu dient, einen Partner zu finden. Die Wölfin wählt einen Rüden und bindet ihn durch intensives Spielverhalten, wie es ja auch im Vorstadium der eigentlichen Läufigkeit auftritt, fest an sich. Dabei vertreibt sie jede Rivalin, beißt sie unter Umständen sogar tot. Die Unverträglichkeit läufiger Hündinnen ist ja auch eine sehr übliche Erscheinung. In meinen Familienzwingern ist derartiges der einzige Anlass, bei dem das sonst so friedliche Zusammenleben gestört werden kann. Jedenfalls ist es also die Hündin, die sich den Partner aussucht und ihn eifersüchtig verteidigt.
Trotz der gefestigten Partnerbindung – die man als »Verbindung« bezeichnen könnte – dürften Rüde und Wölfin im Herbst wieder zu ihren Stammrudeln zurückkehren und sich erst im Januar wieder, aber nun auf Dauer, zusammentun. Nun ist die Jungwölfin etwa 20 Monate alt und wird erstmals richtig läufig. Februar und März sind die üblichen Deckzeiten, und wenn die Wölfin zwei Jahre alt geworden ist, bringt sie auch erstmals Junge zur Welt. Es wäre also zu empfehlen, spätreife und wolfsstämmige Hündinnen nicht vor dem 20. Monat decken zu lassen. Sonst gilt allgemein die Regel, dass man Hündinnen, bei denen die erste Läufigkeit im siebten oder achten Lebensmonat auftritt, bei der nächsten, also sechs Monate später, erstmals decken lassen kann.
Auch Schakale scheinen erst mit zwei Jahren fortpflanzungsfähig zu werden, zumindest die Rüden. Meine beiden Goldschakale Ah und Ben – die sich als nordafrikanische Grauschakale (eine kurzohrige Unterart des Goldschakals) entpuppten -, interessierten sich zwar bereits im ersten Lebensjahr für die Läufigkeit ihrer Hündinnen, wussten aber damit noch gar nichts anzufangen. Sie brauchten sogar drei Jahre, um ihre Deckfähigkeit unter Beweis zu stellen. Weibliche Schakale scheinen weit früher fortpflanzungsfähig zu sein, wahrscheinlich schon gegen Ende des ersten Lebensjahres. Vielleicht ist die späte Reife der Rüden hier ein Regulativ, um Geschwisterehen zu vermeiden.
Wölfe pflanzen sich nur einmal im Jahr, nämlich im Frühjahr, fort. Auch meine Dingos bekommen nur einmal im Jahr Junge, und zwar gewöhnlich im Herbst, meist in der Zeit zwischen Ende September bis Anfang Dezember. Das entspricht dem australischen Frühjahr. Die in südlichen Breiten lebenden Schakale sind damit etwas früher dran als Wölfe, nämlich im Januar.
Nun haben aber die Beobachtungen des Forscherehepaares Hugo und Jane van Lawick-Goodall erwiesen, dass zumindest die Goldschakale der äquatornahen Gebiete Ostafrikas ein halbes Jahr später abermals Junge bekommen können, auch wenn der erste Wurf erfolgreich aufgezogen wurde. Das heißt, dass die zweite Läufigkeit unserer Hündinnen nicht eine »unbiologische«, im Haustierstande erworbene Erscheinung ist, wie schon ernsthafte Kynologen behauptet haben. Meine Dingos, die man gewiss nicht als überzüchtete Haushunde ansprechen kann, sind schließlich auch zweimal im Jahr läufig, wenn sie dabei auch eine Art von Geburtenregelung kennen. Der Rüde deckt seine Hündin ungeniert bei dieser Zweithitze – aber die Dingo Hündin bekommt danach keine Welpen. Ich habe mehrfach auch schon bei Dingos und Dingo Mischlingen beobachtet, dass es sogar zu einer Scheinträchtigkeit kommen kann, die alle üblichen Anzeichen einer echten Trächtigkeit aufweist. Erst an dem Tag, an dem die Geburt erfolgen sollte – in diesem Falle am 6o. Tag -, geht das alles in sehr kurzer Zeit zurück. Ich halte es für möglich, dass eine derartige Scheinträchtigkeit biologisch gesehen werden kann; sie lässt die physiologischen Vorgänge, die durch die möglicherweise sogar mit einer Konzeption verbundene Bedeckung ausgelöst wurden, ablaufen, wobei wahrscheinlich die Keime im Mutterleib wieder aufgelöst werden. Der Geburtsakt scheint dann für diesen Vorgang nicht notwendig zu sein, sein Ausbleiben bringt eben so wenig eine Störung mit sich wie der Umstand, dass es keine Welpen gibt, die saugen. Die Milchdrüsen bilden sich nämlich sehr schnell wieder zurück. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn man einer Dingo Hündin alle Welpen sofort nach der Geburt wegnimmt.
Es ist also nicht unbedingt verwerflich, wenn eine sonst sehr gesunde und kräftige Hündin zweimal im Jahr Welpen hat, wenn man das auch wohl nur einmal durchgehen lassen kann und nicht Jahr für Jahr praktiziert. Es passiert schon einmal, dass trotz allen Aufpassens die Hündin bei der zweiten Läufigkeit entwischt und sich dem nächstbesten Rüden hingibt. Da dieser natürlich meist nicht dem Geschmack des unfreiwilligen Züchters entspricht, gibt es dann große Aufregung.
Hierzu ein ernstes Wort. All meiner Erfahrung nach, die ich nicht allein auf meine Hunde zu beschränken brauche, sondern zu der sich sehr viele Beispiele gesellen, die mir mitgeteilt worden sind, ist es viel besser, die Hündin den vom Züchter ungewollten Wurf austragen als ihr vom Tierarzt eine Spritze geben zu lassen.
Die Tragzeit schadet der Hündin mit Sicherheit nicht; für die Spritzen möchte ich nicht meine Hand ins Feuer legen. Den unerwünschten Welpensegen aber nimmt man der Hündin weg, ehe die Kleinen zum Saugen gekommen sind, und überliefert ihn dem Tierarzt, der ihn schmerzlos tötet. Am nächsten Tag wird die Hündin frisch und munter sein und nichts vermissen. Welpen, die nicht saugen, sind sofort vergessen.
Freilich wird mancher Rassehundhalter da Bedenken haben. Man müsste nämlich endlich einmal die Zuchtverbände davon überzeugen können, dass wir im zwanzigsten Jahrhundert leben und dass die biologische Forschung schon so weit vorangekommen ist, dass man mit absoluter Sicherheit sagen kann: Eine Rassehündin ist nicht »verdorben« und »zuchtuntauglich«, wenn sie einmal von einem rassefremden Rüden Welpen ausgetragen hat. Auf den Mond können wir fliegen, aber anderswo scheint noch finsteres Mittelalter zu herrschen.
Damit haben wir die Pubertätsphase ein wenig überschritten, aber es gibt ohnehin nicht viel zu diesem Lebensabschnitt – der, wie wir gesehen haben, oft nur einen Monat währt – zu sagen. Grundsätzlich reift der Hund, bei dem sie länger währt, entsprechend aus, und ganz allgemein kann man sagen, dass der Hund bei Eintritt der Geschlechtsreife erwachsen ist. Aus dem Welpen ist ein Hund geworden. Ergänzend möchte ich noch erwähnen, dass am Ende des zweiten Lebensjahres vor allem der Rüde eine endgültige Ausreifung erfährt, die ihn nun gesetzter, fast würdevoller als bislang macht. Es wäre das ja auch – beim Wolfsahnen – das Alter, in dem er selbst Welpen betreut und zum Rudelführer emporsteigt. Bei Hündinnen bemerkt man dieses Ausreifen vor allem dann, wenn sie ihren ersten Wurf aufgezogen haben.
Nach dem zweiten Lebensjahr also ist der Hund endgültig zur voll ausgereiften Persönlichkeit geworden. Ich hoffe, dass es mir in diesem Überblick gelungen ist, aufzuzeigen, was da alles dazugehört, wie viele Einzelfaktoren einwirken, ehe es soweit ist. Dabei muss ich nochmals betonen, dass alles das, was ich hierzu sagen konnte, ganz sicher nur ein Bruchteil dessen ist, was hier noch alles anzuführen wäre – wenn ich es wüsste. Mir selbst erscheint das alles mehr als fragmentarisch, ich sehe viel mehr Lücken als Wissen. Ich glaube fest daran, dass hier noch ein weites Feld offen steht, das beackert werden kann. Es müssten von tüchtigen Beobachtern noch einige hundert intakte Familien von Wölfen, Schakalen, Kojoten und Dingos studiert werden, ehe wir wirklich in allen Einzelheiten Bescheid über die Verhältnisse der Jugendentwicklung des Hundes wissen. Dazu gehörten auch noch zahlreiche Experimente aller Art, um herauszubekommen, was die einzelnen beobachteten Fakten für die Zukunft des Hundes bedeuten, wie sie sich auswirken und vor allem, was wir aus ihnen für unseren Umgang mit dem Hund lernen können. Das müsste man tun, wenn man den Hund -ernst nimmt.
Zitiert: Eberhard Trumler aus seinem Buch: “Hunde ernst genommen”, Piper Verlag, 9. Auflage, 1989