Diese Phase kann Hundehalter zur Verzweiflung treiben
Nicht anders als der jugendliche Mensch sucht auch der heranreifende Hund seinen Platz in und außerhalb der Familie – und eckt dabei gehörig an. Profi-Tipps für eine optimale Begleitung durch diese stürmische Zeit von Erziehungsexpertin Dr. Gabriele Niepel.
Frau Schmidt versteht die Welt nicht mehr. Ihre bislang unkomplizierte zwölfjährige Tochter Sara verweigert plötzlich die Antwort, wenn man sie fragt, wer das gerade am Telefon war. Bohrt man nach, kommt eine patzige Antwort nach dem Muster „Das geht dich gar nichts an“, gefolgt von heftigem Türenknallen. Ihr insistierendes Nachfragen in jeder Situation wird mit zunehmendem Betonschweigen beantwortet.
Frau Müller glaubt, nicht richtig zu sehen, als ihr 15-jähriger Sohn Matthias mit einem gepiercten Nasenloch nach Hause kommt. Auf ihren entsprechenden Kommentar zum neuen Outfit des Sohnes erhält sie als Antwort lediglich „Und nächste Woche ist die Lippe dran“.
Beim abendlichen gemeinsamen Essen der Familie neckt Herr Kampe seine 16-jährige Tochter Anna damit, daß der Friseur die Schere wohl etwas zu weit am Kopf angesetzt hat, worauf Anna in Tränen ausbricht, sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert und einen verblüfften Vater zurücklässt.
Sie glauben, Sie haben die falsche Zeitschrift in der Hand und lesen „Eltern“ statt „Der Hund“? Nein, Sie sind schon ganz richtig.
Denn es gibt etwas, was Eltern jugendlicher Kinder und Halter jugendlicher Hunde gemeinsam haben: Das Problem, wie man die Pubertät der Kinder/Hunde übersteht.
Geschlechtsreif und sonst nichts?
Was versteht man nun aber unter „Der Pubertät des Hundes“? Trumler hat diese Phase sehr begrenzt gesehen auf die Zeit zwischen dem sechsten Lebensmonat und dem Eintreten der Geschlechtsreif, was für ihn in vielen Fällen hieß: nur eine ein- bis zweimonatige Dauer, wobei er konzidiert, dass es auch Hunde gibt, die erst mit 12-14 Monaten geschlechtsreif sind. Mit Eintreten der Fortpflanzungsfähigkeit sei dann die Pubertät abgeschlossen. Ich denke, dass dieser Begriff von Pubertät zu kurz greift, weil er nur die biologischen Vorgänge in den Blick nimmt, nicht aber die seelischen. Ich möchte Pubertät eher definieren als die Phase des Erwachsenwerdens des Hundes.
Ähnlich wie bei Menschenkindern auch, werden diese nicht plötzlich zu Erwachsenen, nur weil sie sich fortpflanzen können. Es gibt keinen glasklaren Übergang zwischen nicht geschlechtsreif – geschlechtsreif und damit erwachsen. Was wir bei unseren Haushunden beobachten können, ist vielmehr dieses: Um ca. den sechsten Monat zeigen sich die Hunde plötzlich selbständiger und ungebärdiger. Mit dem Eintreten der Fortpflanzungsfähigkeit ist dieses Verhalten nicht abgestellt, sondern es dauert weiter an, und es kommen neue Verhaltenskomponenten hinzu. Meiner Erfahrung nach erstreckt sich die Pubertätsphase bei sehr, sehr vielen Hunden über das ganze zweite Lebensjahr, im dritten Jahr erst werden die Hunde erwachsen – im Sinne einer ausgereifteren, abgeklärten Persönlichkeit, manche Hunde sind dies erst mit vier Jahren. Zudem ist das Erreichen der Geschlechtsreife im Alter von sechs Monaten durchaus nicht die Regel unter unseren Haushunden – vor allem nicht bei den größeren Rassen. Was nun zeichnet diese Phase aus?
Macho und Weichei in einem
Erinnern wir uns u.a. an die obigen „Menschenbeispiele“: Verstocktes, in sich gekehrtes Verhalten, keine Offenheit, plötzlich wird aufs eigene Aussehen mehr Wert gelegt, wobei gerne der Versuch unternommen wird, sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen und diese zu brüskieren, das
Nichteinhalten von Regeln, Aggressivität gegen andere Gleichaltrige (und gleichgeschlechtliche), Aggressivität gegenüber den Eltern – auch wenn diese „nur“ verbal ist, unerklärliche Empfindsamkeit. Diese punktuellen Beschreibungen treffen auch auf unsere Hunde in dieser Phase zu. Klar, kein Hund pierct sich selbst (das macht man eher gegenseitig), auch verlangt kein Hund, plötzlich zum Hundecoiffeur zu gehen oder ein strassbesetztes Halsband tragen zu dürfen, um das eigene Outfit aufzumöbeln. Aber die Grundzüge des Verhaltens, dessen, was dahinter steht – und leider auch – unsere Reaktionen sind sehr weit deckungsgleich. Die Ohren werden auf Durchzug gestellt, einmal gelerntes wird nicht mehr ausgeführt. Hundehalter beschreiben dieses Verhalten oft mit den Worten: Der ist so stur geworden, der ist bockig, der will mit dem Kopf durch die Wand, der gehorcht nicht die Spur. Ist der Hund bislang auf Rückruf gut gekommen, dreht er plötzlich noch mal eine Ehrenrunde oder kommt erst nach fünfmaligen Rufen. Sitz und Platz werden plötzlich nur noch zögerlich – wenn überhaupt – ausgeführt. Beim Agility dreht er plötzlich stur auf dem Parcours ab, um in aller Ruhe schnüffeln zu gehen, während sein Halter schon bei der Wippe angekommen ist. Bei der Fährtenarbeit bleibt er mitten auf der Fährte stehen und guckt sich stur in der Gegend um. Bei der Unterordnung führt er alles nur zögerlich aus, begleitet von demonstrativem Anpinkeln des nächstbesten Objektes.
Diese „Sturheiten“ sind noch eher die kleinsten Ärgernisse. Nicht nur ärgerlicher, sondern u.U. auch bedrohlich wird es in den Fällen, in denen der Hund plötzlich mit Knurren reagiert, wenn sein Halter ihn vom Sofa herunterschmeißen will, schnappt, wenn er ihm sein Schweinsohr wegnehmen will, auf Ruhestörungen mit Drohverhalten reagiert. Und diese Fälle sind nicht selten. Gleichzeitig – und das macht es für viele Hundehalter so schwer – zeigt sich der Hund häufig empfindlich. Plötzlich hat er Angst vor einem Heißluftballon, oder ein lautes Wort vom Besitzer lässt ihn zusammenzucken. Das versehentliche Treten auf die Pfote wird mit großem Gekreische und zutiefst beleidigtem Blick quittiert. Im Binnenverhältnis Halter – Hund gibt es also das Paradoxon, dass der Hund auf der einen Seite stur wie ein Esel scheint, auf der anderen Seite aber das Sensibelchen heraushängen lässt. Doch für viele Hundehalter wird die Pubertät des Hundes auch deswegen zur Alptraumphase, weil es plötzlich zu vorher nie dagewesenen Problemen im Außenverhältnis kommt.
Wachen, jagen, raufen
Wurden Besucher bislang freundlich begrüßt, fängt der Hund plötzlich an, diese anzuknurren. Hat er bislang keine Notiz von Passanten genommen, während er im Garten spielte, rennt er plötzlich wie ein Berserker am Zaun auf und ab und „vertreibt“ die Eindringlinge. Hat er bislang noch spielerisch den Vögelchen hinterhergejagt, was dem Besitzer kein Kopfzerbrechen bereitete, weil es so ein niedliches Stolpern war und der Hund auch immer gleich wieder von selbst zurück gerast gekommen ist, so beginnt der Derwisch mit großer Konzentration und Hingebungsgabe ausdauernd Tiere zu jagen. Der Rüde zieht seinen Besitzer neuerdings kreuz und quer von Baum zu Laternenpfahl, um überall schnuppern und sein Bein heben zu können. Das alles ist aber noch nicht so schlimm, wie eine andere Verhaltensveränderung, die die meisten Hundebesitzer zum Verzweifeln treibt: Hat ihr Hund bislang so schön friedlich mit anderen Hunden gespielt, entwickelt er sich plötzlich zum Raufer. Es wird sich machomäßig in die Brust geworfen, andere Hunde werden über den Haufen gerannt, Angsthasen werden mit Freude gehetzt, der Hund prügelt sich unter lautem Getöse und kommt mit gelochtem Ohr wieder. Schamvoll steht man hilflos dabei und versucht, sich beim anderen Hundebesitzer zu entschuldigen – eine Entschuldigung, die nur selten angenommen wird. Völlig unbegreiflich ist für viele Hundebesitzer der Tag, an dem „Pelle“ plötzlich mit „Rasko“ rauft, den er doch von klein auf kennt und mit dem er immer zusammen spazieren gegangen ist. Auch wenn Rüden sich häufiger prügeln als Hündinnen – auch Hündinnenbesitzer gewinnen plötzlich ein anderes Bild von ihrer „Kleinen“, die zähnefletschend Rüden abbeißt, welche zu intensiv an ihrem hinteren Körperende schnüffeln, einen Hass auf spezielle Hündinnen entwickelt, die sie häufiger trifft. Vollends empört sind sie ,wenn ihre Hündin mit äußerster Vehemenz einen fremden Welpen, der so süß begeistert auf sie zurennt, per Drohschnappen in die Flucht schlägt.
Erste Hitze – heiße Phase
Hundehalter, die zum ersten Mal die Läufigkeit einer Hündin erleben, meinen häufig, einen anderen Hund zu haben: empfindlich bis zum Abwinken, oft träge und faul, hochgradig aggressiv gegen andere Hündinnen, lustlos am gemeinsamen Spiel oder gemeinsamer Arbeit, in bekannten Stresssituationen plötzlich kopflos reagierend. Und diese Phase umschließt sehr häufig nicht nur die drei Wochen der konkreten Blutung der Hündin, sondern kann Wochen vorher beginnen und noch Wochen nachher andauern – erst recht, wenn die Hündin auch noch scheinschwanger wird. Beginnen wir zunächst bei der konkreten, biologischen Veränderung: der geschlechtsreif gewordene Hund erfährt durch die Reaktion anderer Hunde, dass plötzlich nichts mehr so ist wie es vorher war. Die Hündin hat sich (auch nach Beendigung ihrer Läufigkeit) sie belästigender Rüden zu erwehren. Hat man vorher gespielt, so scheint der Rüde nun nur noch im Kopf zu haben, lecken, sabbern und klammern zu dürfen, was überhaupt nicht so lustig ist, wie das bisherige gemeinsame Spielen. Wurde sie von anderen Hündinnen bislang eher ignoriert, erfährt sie plötzlich, dass sie angedroht wird. Rüden wie Hündinnen müssen die Erfahrung machen, dass kleine Frechheiten, die sie sich bisher bei andern Hunden haben herausnehmen dürfen, plötzlich mit harter Zurechtweisung beantwortet werden. Also: Die Hunde erfahren, ohne dass sie selbst sich bereits konkret anders verhalten würden, ein anders als das gewohnte Feedback – was zu Verunsicherung führt. Neben dieser veränderten Außenreaktion spürt sicherlich auch ein Hund, das irgend etwas in seinem Körper vorgeht. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie schwierig diese Veränderung für Menschenkinder ist, mit denen man zumindest theoretisch darüber reden kann, so braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein Hund da ziemlich hilflos den Veränderungen ausgesetzt ist, die sich in ihm abspielen .All dies zusammengenommen vermag schon zum Teil die zu beobachtende Empfindsamkeit vieler Hunde in dieser Phase zu erklären.
Wo steh´ ich im Familienrudel
Doch was sicherlich noch entscheidender ist, ist die Tatsache, dass die Phase der Pubertät die Phase der Selbstfindung ist. Sie lachen und finden, dass dies eine unzulässige Vermenschlichung ist? Nun, ein Hund wird vermutlich nicht im Körbchen liegen und darüber sinnieren, wer er ist, wie sein leben aussehen soll, wie er etwas besonderes darstellen soll und wie wohl „das erste Mal“ sein wird. Aber er sucht seinen Platz im Leben – und das heißt: er will wissen, wo er in der Hierarchie des Familenrudels steht. Es ist ein völlig normaler Vorgang in der Natur eines Hunderudels, dass mit Eintreten der Geschlechtsreife die gleichgeschlechtlichen Tiere beginnen, Rangordnungen unter sich auszumachen. Das Alphatier steht natürlich noch meilenweit über ihnen – aber bei den Geschwistern kann man seine Stellung schon mal erproben und wenn man dann viele Erfolgserlebnisse hat, traut man sich schon mal an ältere, aber eher schwache Rudelmitglieder heran. Dem Hund ist es ein inneres Bedürfnis zu erkunden, wo er steht – und sich Privilegien zu sichern, wenn er welche kriegen kann (als da z.B. sind: bevorzugten Liegeplatz besetzen, besonders gutes Futter ergattern, zu bestimmen, wo es in welchem Tempo langgeht – und als Fernziel: sich fortpflanzen zu können). Was das alles mit Ihnen und Ihrer Familie zu tun hat? Nun, ganz einfach: sie alle gemeinsam sind das Rudel (auch wenn es nur aus Ihnen und Ihrem Hund bestehen sollte). Und das wiederum heißt: Der Hund will wissen, wer bei Ihnen der Boß ist. Um das herauszubekommen, beginnt er, Sie auszutesten: Anfangs eher harmlos über das Nichtbefolgen von Befehlen, der Brechung von gesetzten Tabus. Merkt er dabei, dass sein Mensch ihn gewähren lässt, probiert er Schritt für Schritt mehr aus – bis hin zu offen gezeigter Aggression, wenn sein Mensch will, dass der Hund etwas tun bzw. unterlassen soll. Für den Hund ist dieses Verhalten sachlogisch konsequent: Wenn seine Menschen nicht die Führungsrolle im Rudel übernehmen will, muss er es eben tun. Und wenn er der Meinung ist, in die Rolle des Alphatieres geschlüpft zu sein, dann ist eine weitere logische Konsequenz die, dass er natürlich das tut, was er will – und nicht das, was Sie wollen. Warum sollte sich das Ranghöchste Tier von einem niederen vorschreiben lassen, dass es bitteschön das weiche Sofa zu verlassen oder das geklaute Stück Fleischwurst wieder herausrücken soll?
Wo steh´ ich in der Hundewelt
Der Hund testet aber nicht nur im Binnenverhältnis seines Familienrudels aus, wo er steht, sondern auch in der äußeren „Hundewelt“. Man probiert es mit kleinen Pöbeleien, die man plötzlich selber erdulden muss bzw. bei anderen beobachtet. Man überlässt das Stöckchen nicht mehr dem mitspielenden Hundekumpel, sondern knurrt und guckt, was passiert. Man heftet sich auch dann an eine gut duftende Hündin, wenn man zwei Mitbewerber auf dem Markt hat und ist sich nicht zu schade, zurückzukeifen, wenn einer der Mitbewerber einen ausstechen will. Mit aufdringlichem kleinen Hundezeug in Form von Welpen spielt man nicht mehr – das ist unter der Würde. Man ignoriert es hoheitsvoll – oder scheucht es weg, weil das einem so ein herrliches Machtgefühl bereitet. Man merkt dann auch ganz schnell, dass es bestimmte Hundetypen gibt, bei denen man immer gewinnt – das baut mächtig auf und tut dem Ego gut. Im Bewußtsein des eigenen Erwachsenseins bemüht man sich, Kindsein abzustreifen (auch wenn der verflixte Spieltrieb doch immer wieder durchkommt) und Erwachsenenpflichten zu übernehmen – wie z.B. das Verbellen von Besuchern oder das Stellen von Passanten, die zu nahe an den schützenswerten Kinderwagen herankommen. Auch Hunde sind hin- und hergerissen zwischen Annehmlichkeiten der Zeiten, zu denen sie noch „Kind“ waren und den Rechten und Pflichten des Erwachsenenstatus. Menschenkinder und Hundekinder suchen ihren Platz in der Welt. Hunde wollen wissen, wo sie in der Familienhierachie stehen, wo sie in der Hundewelt stehen und auch, was sie ich zutrauen können und was sie lieber bleiben lassen.
Der hilflose Erzieher
Doch wie reagieren wir Eltern/Hundebesitzer? Erinnern wir uns nochmals an die eingangs genannten Beispiele: Reaktionen der Eltern reichen von Unverständnis, Hilflosigkeit, Scham, Vermeidung, Bitten, Anwendung der immer gleichen Methode, Drohungen, Aggression, dem Entzug von Privilegien den Kindern gegenüber. In diese Reaktionen fließen natürlich ein die wahrgenommene und/oder antizipierte Reaktion der Umwelt auf die „Taten“ der Kinder. Vergleichen wir dies doch mit den verbreiteten Reaktionen von Hundehaltern, wenn die Hunde nicht das tun, was sie sollen: Unverständnis („Wieso spielt „Pelle“ plötzlich nicht mehr mit „Rasko“?), Hilflosigkeit (danebenstehen und sich in Grund und Boden schämen, während der eigene Hund gerade einen anderen scheucht und mergelt), Vermeidung („Wenn wir Besuch bekommen, sperren wir Lotta immer in die Küche“), Bitten („Sei schön lieb „Brosco“, und lass den anderen Hund in Ruhe“), Drohungen („Wenn du jetzt nicht endlich das Ziehen lässt, dann kaufe ich ein Stachelhalsband“), Anwendung der immer gleichen Methode (Stimme immer stärker schreien lassen, wenn der Hund auf Rückruf nicht kommt), Schimpfen evtl. auch verbunden mit Schlägen und Rucken, also Aggression, wenn der Hund Passanten bedroht. Leider löst sie die Versprechen nicht ein! Hat sich in der Kindererziehung einiges zum guten gewendet, so lautet der allseits gehörte Rat, den verzweifelte Besitzer pubertierender Hunde zu hören bekommen: Da musst du deinen Hund eben härter rannehmen. Die Sturheit des Hundes mit eigener Härte brechen, lautet die Devise. Dies ist leider ein gravierender Irrtum.
So überlebt man gemeinsam die Pubertät
Nicht Härte ist angebracht, denn sie führt allein dazu, den Hund in seiner Beziehung zu Ihnen zu verunsichern – und das ist etwas, was der Hund in dieser sensiblen Phase seines Lebens am wenigsten benötigt! Statt dessen heißt es: sich in die Gedankenwelt des Hundes einfühlen, ruhig und konsequent ohne Wutausbrüche dabei bleiben, dass der Hund Ge- und Verbote zu beachten hat, Humor zu beweisen und ihn – im übertragenen Sinne – an langer Leine zu führen. Das bedeutet konkret im Alltag: Wenn Ihr Hund bislang ein folgsamer Begleiter gewesen ist und gut im Familienrudel eingeordnet gewesen ist, sollten Sie nicht an sich und Ihren bisherigen Erziehungsbestrebungen verzweifeln, wenn Ihr Hund sich plötzlich gebärdet wie der Letzte. Sehen Sie es als eine Phase, die man gemeinsam bestehen muss und aus der man, wenn man es richtig anfängt, gemeinsam gestärkt hervorgeht. Positives Denken ist der erste Schritt zu positiver Problemlösung. Hat Ihr Hund jedoch bislang auch schon nie so richtig „funktioniert“, hat sich immer schon kleinere Frechheiten herausgenommen und demonstriert, dass Sie ihm nichts zu sagen haben, was jetzt nur extensiv gesteigert wird, dann sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass es jetzt fünf vor zwölf ist. Sie haben noch eine letzte Chance, die Kurve zu kriegen und Ihren Hund einzuordnen. Wenn Sie jetzt weiter versagen, wird Ihr Hund zukünftig stets unabhängig von Ihnen seine Entscheidungen treffen – Entscheidungen, die selten in Ihrem Sinne sein werden! Erinnern Sie sich an Ihre eigene Pubertät, an die Stimmungsschwankungen, Verunsicherungen, aber auch an die aus heutiger Sicht betrachteten Lächerlichkeiten, die man so durchgezogen hat, um nicht in erster Linie nur Wut auf den Hund zu empfinden, sondern manches auch mit Humor betrachten zu können. Schielen Sie nicht darauf, was andere Leute von Ihnen und Ihrem Hund denken könnten, sondern verhalten Sie sich nach der Maxime des optimalsten Eingehens auf den Hund (auch wenn das z.B. bedeuten kann, sich Mitten auf der Hundewiese im Spiel mit dem eigenen Hund auf dem Boden zu wälzen).
Auch wenn er Sie zur Weißglut treibt: erinnern Sie sich immer daran, dass der wahre Boß sich durch cooles, überlegenes Handeln auszeichnet und nicht dadurch, dass er wild verbale und körperliche Schläge verteilt. Begegnen Sie Ihrem Hund mit mehr Akzeptanz für sein verändertes Verhalten. Auch wenn Sie es bislang so schön fanden, dass Ihre Hündin mit jedem Welpen gespielt hat – akzeptieren Sie das biologische Muster, dass Ihre Hündin vorgibt, fremde Welpen nicht gerade als Bereicherung ihres Lebens anzusehen. Das heißt nicht, dass sie Ihre Hündin wahllos Welpen verspeisen lassen sollen, aber dass Sie ihr zugestehen dass sie eben keinen engen Kontakt zu fremden Welpen haben will. Vermeiden Sie, das zu tun, was sie meisten Besitzer raufender Hund tun: nämlich, Hundebegegnungen zu vermeiden. In meiner Praxis erlebe ich immer wieder die gleichbleibende Geschichte von „Raufern“: Das erste Lebensjahr war der Hund unproblematisch mit anderen Hunden, plötzlich fing er aus heiterem Himmel an, sich auf andere Hunde zu stürzen und zu „beißen“.
Geschockt, von zwei, drei derartigen Erlebnissen, bei denen zwar keinem der beteiligten Hunde etwas passiert ist, man sich als Hundehalter aber die übelsten Beschimpfungen hat anhören müssen, entscheiden die Besitzer, nur noch da und zu der Zeit spazieren zu gehen, wo man keine Hunde trifft, und/oder den eigenen Hund grundsätzlich nur noch angeleint an anderen Hunden vorbeizuführen. Das zunehmend aggressive Gebärden an der Leine bestätigt die Besitzer dann noch in der Richtigkeit ihrer „vorausschauenden“ Vorsichtsmaßnahme. Ohne hier in Abrede stellen zu wollen, dass es wirklich Hunde gibt, die tatsächlich auf keinen Hund mehr losgelassen werden können und wo die Sicherung per Leine wirklich die einzige Möglichkeit bleibt, soll hier eine Lanze dafür gebrochen werden, Hunden Erfahrung zu ermöglichen. Das Resultat obiger Reaktion auf die ersten „Kämpfe“ des eigenen Hundes sind nämlich Hunde, die ihr Leben lang auf der Suche nach ihrer Stellung in der Hundewelt bleiben, es also weiter ständig nötig haben, sich beweisen zu wollen und für die zudem noch der Anblick anderer Hunde zum Auslösesignal dafür wird, dss sie nun an die Leine genommen und/oder Schimpfen und Schmerzen zu ertragen haben werden. Hand aufs Herz: Häufig ist es doch gar nicht die Angst um den eigenen oder den fremden Hund, sondern vielmehr die Angst vor der Auseinandersetzung mit den Besitzern der anderen beteiligten Hunde, die zur Leine greifen lassen, denn die Erfahrung zeigt ja immer wieder, dass es in der Regel zu keinen ernsten Verletzungen kommt. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass der pubertierende Hund an einen sozial gestörten Hund gerät und schwer verletzt wird. Aber wer dieses Restrisiko nicht ertragen kann – der sollte sich keine Hund anschaffen, denn einen Vierbeiner zu halten, ohne ihm Kontakt zu seinen Artgenossen zu gewähren, weil man Angst hat, es könnte zu einer üblen Beißerei kommen, ist eine nicht artgerechte Haltung.
Der pubertierende Hund muss lernen, von erwachsenen Artgenossen in die Schranken gewiesen zu werden, er muss aber auch Erfolgserlebnisse verbuchen Können. Kritisch wird es nur dann, wenn aus einem ursprünglichen Austesten ein Raufen aus Lust am Raufen wird und der Hund Selbstbestätigung
nur darüber findet, dass er wahllos andere Hunde angreift. Dies ist zu unterbinden – nicht aber grundsätzlich jedes Imponiergehabe und jegliche Rauferei.
Um das Ego Ihres Hundes zu stützen, sollten Sie sich vermehrt mit ihm beschäftigen und Anforderungen an ihn stellen. Ob das im Training der bekannten Hundesportarten liegen soll, im Beibringen von Tricks oder einem Mischmasch aus Nasenarbeit, Agility, Obedience etc. ist völlig egal – Hauptsache, Sie stellen dem Hund bewältigbare Aufgaben. Dann braucht er sich auch keine unerwünschten Ersatzbeschäftigungen zu suchen , mit denen er sich selbst seiner Stärke vergewissern will. Werten Sie die plötzlichen Wach- und Schutzbestrebungen Ihres Hundes nicht als lästigen und peinlichen Aspekt, sondern als Ausdruck normalen Hundeverhaltens und versuchen Sie, es zu kanalisieren. Erstes Melden wird mit einem begeisterten „Fein aufgepasst“ verbal belohnt, es gibt ein Leckerchen, dann folgt das Abverlangen eines zum Bellen alternativen Verhaltens – wie z.B. „Brings Bällchen“ – oder auch ein einfaches „Sitz“ für das der Hund belohnt wird. Eine instinktive Wach- und Meldebereitschaft (die durchaus nicht mehr jeder unserer Haushunde hat), sollte nicht über die Anwendung von Bestrafungsmethoden dem Hund „ausgetrieben“ werden. Klar muß aber zu jeder Zeit bleiben, dass nur Sie als oberster Chef zu entscheiden haben, wen das Rudel angreift und wen nicht, womit wir beim nächsten und entscheidenden Punkt wären.
Natürlich bedeutet die Akzeptanz der Tatsache, dass der Hund sich in einer besonderen Entwicklungsphase befindet sowie der Appell an den Verzicht auf Härte nicht, dass Sie dem Hund nun alles durchgehen lassen – im Gegenteil. Sie stehen schließlich auch im Testverfahren: Sind Sie ein verläßlicher, überlegener Boß, oder sind Sie es nicht? Boß zu sein bedeutet vorausschauendes denken (z.B. eher als der Hund etwas sehen, was diesen zum Fehlverhalten verleiten könnte und sich entsprechend darauf einrichten), es bedeutet, sich dem Hund gegenüber immer klar zu verhalten. Nicht einmaliges Üben mit dem Hund auf dem Hundeplatz oder die klassischen Unterordnungsübungen allein stellen die Rangfrage klar, sondern der alltägliche Umgang mit dem Hund. Wer morgens nach dem Aufstehen zum Körbchen des Hundes läuft und dem dort liegendem Hund einen Kuß auf die Nase drückt, wer nach der Arbeit die Tür aufreißt und zum Hund rennt, der auf dem Sofa thront und hoheitsvoll die Liebesbezeugungen entgegen nimmt, wer sich selber in die Bettritze quetscht, damit der Hund nur genügend Platz hat, komplizierte Slalomläufe um den mitten in der Türöffnung liegenden Hund unternimmt, wer regelmäßig auf der Treppe stolpert, weil der Hund vor ihm hertanzt, wer stets zum Hechtsprung bereit ist, um den aus dem Auto stürzenden Hund gerade noch so abfangen zu können, bevor er überfahren wird, wer von seinem Rüden gezwungen wird, für 100 Meter gemeinsamen Ganges acht Minuten zu benötigen, weil der Herr überall sein Bein heben muss, wer sofort aus dem Sessel aufspringt, weil der Hund durch Kratzen an der Tür kund tut, in den Garten zu wollen, wer bereitwillig auf jede Aufforderung des Hundes zum Spielen oder Schmusen eingeht – tja, der darf sich nicht wundern, dass sein pubertierender Hund seine Entscheidungen alleine trifft – und die können lauten: Der Typ mit dem Bart hat in unserer Wohnung nichts zu suchen, den ewig kläffenden Entlebucher von nebenan mache ich zur Schnecke, ich leg mich bei der Nässe doch nicht ins Gras, der Alte latscht zu langsam, ich will schneller laufen, was fällt dem Typen ein, mich beim Fressen zu stören.
Drehen Sie die Beispiele um, und Sie wissen, wie Sie Ihrem Hund klarmachen, wer der Chef ist. Boß sein bedeutet aber auch, Lächerlichkeiten des Hundes zu ignorieren. Eberhard Trumler bringt in seinem Buch „Mit dem Hund auf du“ ein schönes Beispiel.
Er beschreibt, wie er anfangs die Jungtiere seiner Dingos mit spätestens acht Monaten vom übrigen Rudelverband getrennt hat aus Angst vor ernsten Beißereien und wie er sich dann eines anderen besann: „Aber dann machten mich einige Zufallsbeobachtungen stutzig, und ich riskierte es, die Jungtiere nicht wegzutun. Natürlich war ich immer auf dem Sprung, einzugreifen, wenn es losgehen sollte, aber es ging nicht los. Gelangweilt schaute Rüde Abo zu, wie sein Sohn Paroo, ein Flegel von acht Monaten, Mutter Suki besprang, es war freilich noch nicht die eigentliche Hochbrunft, sondern eine Woche davor, und der Jungrüde tat auch nur so als ob. Als dann Suki soweit war, deckte sie Abo, und Sohn Paroo stand still abseits, wohlerzogen und gehorsam. Dabei sind Dingos nachweislich bereits mit sieben Monaten deckfähig!“
Ein Boß muss nicht ständig und immer den Boß groß heraushängen lassen, sondern auch mal über etwas, was die Sache nicht Wert ist, hinwegsehen können.
Die Pubertät des Hundes ist wie jene des Menschen eine anstrengende Angelegenheit, die man mit Geduld, dem festen vertrauen, dass die Zeiten besser werden, der konsequenten Führung des Hundes und mit viel Humor so überstehen kann, dass das Team Mensch – Hund gestärkt aus ihr hervorgeht.